Erinnerung: Was vom Dating so hängen bleibt

CW: Hier geht es um Sex und Fremdgehen.

Vor 15 Jahren hatte ich eine Affäre, oder genauer gesagt, ich war eine, anfangs ohne es zu wissen. Das Ganze ist zwar schon lange her, aber ich denke trotzdem häufig daran. Es war weder die längste Liebschaft meines Lebens, noch die beste, hängen geblieben ist sie trotzdem.

Warum? Es war das einzige Mal, dass mit mir fremd gegangen wurde – zumindest bekam ich es da eindeutig mit: Während eines Treffens rief sein Freund an und er ließ das Handy auf dem Tisch weiter klingeln, weil er in dem Moment keine Hand frei hatte. Er schaute nur aufs Display und sagte „mein Partner“. Ein maximaler Abturner.

Wir trafen uns trotzdem weiter, weil der Sex so ausnehmend gut war und ich mit mir selbst länger darüber debattierte, wie schlecht mein Gewissen in dieser Situation sein sollte. Außerdem sah der Typ sehr gut aus. Wichtiger war aber seine Fähigkeit, mich zur Weißglut zu bringen und diese Wut anschließend in Lust umzuformen. Ich verstehe nicht, wie er das anstellte.

Es lief jedes Mal so ab: Er schaute sich in meiner kleinen Wohnung um und beleidigte mich mit den Worten, ich spiele nicht in seiner Liga, er machte mir also klar, dass er sich für etwas besseres hielt. Sein Freund hätte mich im übrigen ebenfalls als Loser bezeichnet. Wie unsympathisch! (Abgesehen davon, dass er mit ihm über mich redete?!) Außerdem erinnere ich mich, dass er bei jedwedem Thema scheinbar absichtlich eine Meinung vertrat, die meiner widersprach, nur um mich zu reizen. Dass ich das bis hier überhaupt mit mir machen ließ, verstehe ich schon nicht. Normalerweise hätte ich ihn links liegen lassen. Aber nein. Vielleicht lag es daran, dass ich so scharf auf ihn war. Aber wie er danach meine Wut umformte? Rätselhaft.

Vermutlich waren die beiden Male, die wir miteinander schliefen, nur deshalb so besonders für mich, weil alles so falsch war. Wegen seines Fremdgehens, wegen des moralisch Verwerflichen, und weil ich zum Teil sauer auf ihn war. Und dann kam er wieder mit so einem süßen Hundeblick an, der mich seltsam verzauberte: Es passte überhaupt nichts zusammen.

Eines Tages nahm er mich sogar mit zu sich nach Hause. In seine Wohnung! Wo er mit seinem Freund wohnte! Gut, der war nicht da, aber wie unverschämt ist das bitte? Und wieso stimmte ich der Sache überhaupt zu? Die Bude sah jedenfalls aus wie in „Schöner Wohnen“, nirgendwo ein Staubkorn zu finden und alles schrecklich durchdesigned. Hübsch auf den ersten Blick, aber in Realität total unwohnlich. Er zeigte mir, wie ein Induktionskochfeld Wasser in wenigen Sekunden zum Kochen bringen konnte. Erst jetzt fällt mir auf, was für eine großartige Metapher auf unsere Beziehung das war.

Ich schätze, wir spielten wirklich in verschiedenen Ligen. Sich mit mir abzugeben war vielleicht für ihn das Abenteuer an der Sache, also ein ganz anderer Grund als bei mir. Das Ergebnis war aber das gleiche: Wir zogen uns an wie Magnete, gleichzeitig stießen wir uns aber auch ab wie welche.

Im diesen Jahren damals, 2009 und davor, suchte ich gerade meinen Platz im Leben, relativ frisch geoutet und in so etwas wie einer zweiten Pubertät. Jede Liebschaft und jeder Flirt hatte eine große Bedeutung für mich und ich trauerte allen übermäßig lange und dramatisch nach. Bei diesem Typ aber war mir klar: das hat keine Zukunft. Ich ließ die beiden Sex-Erlebnisse und Handvoll Treffen geschehen, aber dann beendete ich das. Und wenn ich meine beiden Tagebucheinträge über ihn lese, muss ich sagen, ich bin stolz auf mich.

Erstens, weil ich so klug war, zu verstehen, dass das alles zwar fürchterlich spannend war, es aber sofort aufzuhören hatte. Und zweitens, weil ich, der aus der niedrigeren Klasse, der Loser, mit ihm Schluss machte. Ich beendete das Spiel.

Das passte ihm natürlich nicht. Nachdem ich ihn mit vorheriger Ankündigung und Verabschiedung bei der Datingseite geblockt hatte, legte er sich ein Zweitprofil an, um mich wieder anschreiben zu können. Wäre ich damals auf sein Geflirte rein gefallen, hätte er mich vielleicht nach dem nächsten Intermezzo abserviert. Gewundert hätte es mich nicht.

Doch mir war klar: dieser Typ und alles um ihn herum ist gefährlich. Ich vertraute damals meinem Gefühl und bereue diese Entscheidung nicht, aber ich weiß bis heute nicht, was genau das Gefährliche war. Er selbst, diese seltsame Wohnung, bei der es scheinbar okay war, wenn die Nachbarn seine Affäre grüßten, sein potenziell gefährlicher Freund beim Militär, abwesend, aber ständig in SMS-Kontakt mit ihm… war das alles wirklich echt? Und falls ja, was für ein Leben führte dieser Typ? Im Grunde ein trauriges. Er hatte eine teure und kalte Wohnung, einen abwesenden Freund und eine gute Anstellung bei einer Bank, ließ sich aber aber heimlich von schwulen Losern vögeln.

Irgendwas passte da vorn und hinten nicht zusammen. Ich werde es nie erfahren. Leider weiß ich seinen Nachnamen nicht, ich hätte ihn zu gern gegoogelt und herausgefunden, was er heute so macht. Diese Geschichte wird also ein ewiges Rätsel bleiben. Sicherlich ist das der Grund, weshalb ich manchmal an ihn denke, wenn das Wasser auf meinem Induktionsherd zu kochen beginnt – so wie heute Morgen bei den Frühstückseiern.

WMDEDGT – 5. November 2024

Unter „Was machst du eigentlich den ganzen Tag“, kurz #wmdedgt, versammeln sich die Tagebuchbloggenden an jedem 5. eines Monats und berichten vom Tag. Initiiert wurde das von Frau Brüllen.

Als morgens der Wecker klingelt, denke ich, dass das alles gar nicht sein kann. Die Schlafanalyse der modernen Technik ist zwar anderer Meinung, aber ich weiß es besser: diese Nacht war bescheiden.

Irgendwann hieve ich den schweren Körper aus dem Bett, stelle ihn unter die Dusche und warte auf Lebensgeister. Nichts geschieht. Auch das Sonntag gebackene Quarkbrot, auf das ich stolz bin, und ein starker Kaffee helfen nicht.

Zum Frühstück läuft ein Podcast, und ich lerne, dass im Einzelhandel wieder mehr gestohlen wird. Neben Geldknappheit tun jüngere Menschen das als Mutprobe (wtf), ein anderer Grund ist Gewohnheit (WTF). Im Homeoffice fließt die Arbeit danach so vor sich hin. Eine Besprechung, während der ich wenig sagen und nur aufzupassen brauche, danach ist bald schon Mittagspause und ich esse Joghurt mit Apfel. Sonntag habe ich auch noch Kekse gebacken und davon ist etwas geraspelte Schokolade übrig – die kommt in den Joghurt, damit er nicht zu gesund ist.

Während des Essens höre ich das Hörbuch „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende. Die Aufnahme ist von 1981, da war ich noch gar nicht auf der Welt. Herr Koreander wird vom Synchronsprecher Gert Günther Hoffmann gesprochen und vor meinem inneren Auge steht darum Sean Connery in der Bücherei herum. Lustig.

Nachmittags gibt die IT eine Einführung in eine neue Software. Ich denke, mit halbem Ohr zuzuhören genügt, weil ich sie schon testen konnte und das meiste weiß. Natürlich verpasse ich genau die Sekunden, in denen es um eine mir noch unklare Sache geht. Es ärgert mich, denn ich weiß natürlich, dass man nicht halb zuhören kann. Beim Autofahren ist es schließlich auch nicht möglich, aufs zu Handy schauen und gleichzeitig die Straße im Blick zu behalten. Immerhin habe ich keine Menschen gefährdet.

Nach der Schulung logge ich mich für heute aus. Minusstunden, okay, aber ich bin so müde… Plötzlich ist eine Stunde vergangen. Die Schlafanalyse bescheinigt auch diesmal eine formidable Ruhezeit, Tiefschlaf sogar, ich fühle mich einfach noch verknitterter. Muss diese Herbstmüdigkeit sein.

Dann einkaufen, ohne Diebstahl meinerseits. Die Selbstbedienungskassen sind ausgeschaltet, sie sorgen übrigens für bis zu 20 Prozent mehr Diebstähle. Unnützes Partywissen. In der Apotheke möchte die Person vor mir Nasenspray kaufen und wird gefragt: „Ist das für Sie selbst?“ – Mir wurde die Frage auch schon gestellt, aber in dem Moment denke ich: Was tun die, wenn man sagt, man kauft es für jemand anderen?

Zurück zu Hause entscheide ich mich gegen eine Fertigpizza und fürs Selbstkochen samt essen in Eile, denn ich habe um 18 Uhr eine Weiterbildung. Schlecht geplant, aber ich sitze pünktlich und satt vor dem Bildschirm. Die ersten 20 Minuten gibt es Einwahlprobleme in der Gruppe und die, die wir schon da sind, klönen ein wenig. Um 20 Uhr ist das Ganze beendet und mein Rücken ist auch der Meinung, ich hätte jetzt mal genug gesessen. Also ab in die Waagerechte und diesen Text veröffentlichen.

Das war der Oktober 2024

Der Oktober begann für mich mit der Hilfe bei einem Umzug. Alle, die schon mal umgezogen sind, wissen: das ist fürchterlich anstrengend. Es war mein erstes Mal mit Umzugsunternehmen – das ist schon toll. Die Leutchen kamen an, tranken dankbar einen Kaffee, schleppten dann in atemberaubender Geschwindigkeit all die schweren Dinge in ihren Laster, für die Normalsterbliche wie wir Stunden gebraucht hätten, dann gab’s einen Energydrink und schon brausten sie los. Dieser Teil war weniger anstrengend, es waren all die anderen Dinge: Kisten schleppen, Lampen abmontieren, Kleinzeug im Obi besorgen, Fernseher anbringen, Essen für alle organisieren, den außer Betrieb befindlichen Aufzug in Betrieb setzen lassen und etwa zehn Millionen andere Dinge. Das Ganze dauerte Tage.

Zwischendurch gab’s erst einen Feueralarm und einige Stunden später einen Stromausfall, beide Male rückte die Feuerwehr an. So ein automatischer Feuerwehranruf ist zwar ein Vorteil, wenn man in einem großen Haus wohnt. Aus dem Vorteil kann aber eben schnell ein Nachteil werden, denke ich, wenn man es gewohnt ist, unter dem Feuermelder zu rauchen oder das Essen sehr scharf anzubraten. Apropos Küche: Bei dem Umzug fand ich ein Messer, das älter ist als ich. Und es ist nicht nur immer noch scharf, sondern auch schon hunderte Male in der Spülmaschine gewesen, der Griff hält trotzdem. Früher war wirklich manches besser.

Mein Arbeitgeber bot im Oktober eine Grippeimpfung an. Die Anmeldung fand online statt, an dem Tag selbst ging ich einfach nur in ein Büro, gab einen Zettel ab, wurde gepiekst und war fünf Minuten später wieder am Platz. Das Angebot ist so dermaßen niederschwellig, dass ich es jedes Jahr mitmache, und ich freue mich total, dass es diese Möglichkeit gibt. Nebenwirkungen: außer einem schweren Arm wieder mal nichts.

Beim Optiker habe ich eine Brille mit Knochenschalllautsprechern getestet. Die Brille war von Ray Ban, in Zusammenarbeit mit… Meta. Der Sound war überraschend gut, die Telefonier- und Videoaufnahmefunktion konnte ich nicht testen. Den Preis habe ich auch nicht erfahren, weil den Verkäufern die Lust verging, nachdem ich zu viel gegen Meta und das „billige Plastik“ gewettert hatte. Sie fühlte sich aber wirklich an wie eine dieser 3D-Brillen, die man im Kino bekommt.

An einem Samstag waren wir in der Bonner Innenstadt. Der Plan: Mittagessen, danach Besuch mehrerer Geschäfte, denn wir brauchen Dinge, wollten außerdem zum Frisör. Am Ende lief es so: Mittagessen, nachbestellen und weiter essen, danach gegenüber in ein alte-Leute-Café fallen und zum Kaffee mehrere Stücke Sahnetorte bestellen, weil die in der Auslage so lecker aussahen. Danach in einen Laden schleppen, nichts von dem gefunden, was wir gebraucht hätten. Anschließend völlig erledigt und vollgefressen zu Hause auf die Couch gesunken. Frisör haben wir stattdessen tags drauf in der Badewanne selbst gespielt, ist eh billiger.

Für erschlagene Momente wie diesen habe ich mal wieder mit „Return to Monkey Island“ angefangen. Das erste der Spiele, „Monkey Island“, war in den 90ern eines der Spiele dieser Zeit. Es gab in den Jahren danach einige nachgemachte Versionen, aber keine reichte nur annähernd an das Original heran. Seit einer Weile gibt es den ganz offiziellen zweiten Teil, vom gleichen Macher, mit dem gleichen Humor – und es ist einfach großartig. Wer das erste mochte, wird das zweite lieben, allein schon für das Gefühl, nochmal jung zu sein.

Ansonsten: Bei der Arbeit unglaublich demotivierende Aufgaben. Das ist normal, das kommt in jedem Job vor, es gibt so Phasen, wah-wah-wah. Trotzdem war das fies und ich merkte, wie ich morgens einfach nur deswegen schwerer aus dem Bett kam. Also musste eine andere Motivation her, irgendwas, bei dem man die Erfolge sofort sieht und auf das man sich freuen kann. Die Lösung fand ich überraschend in der Suche nach einer Küchenmaschine zum Brotbacken. Das wird hier nämlich viel gegessen und da vor einer Weile die letzte Bäckerei in angenehmer Laufentfernung geschlossen hat, wäre es gleich doppelt sinnvoll, wenn ich selbst backen würde. Ich bin gespannt, die Anfänge sind gemacht.

Ich nenne es Bernd.