Ist es eigentlich weit verbreitetes Stereotypendenken, Schwule würden sich gerne wie Frauen anziehen? Ich habe keine Ahnung, fürchte aber, dass dieses völlig unzutreffende Detail viel öfter, ich nenne es mal „erwartet“ wird, als es dann tatsächlich doch der Fall ist. Dass der CSD in keiner Weise aussagekräftig für den Durchschnittsschwulen ist, wird jeder wissen, der sich die Thematik ein Mal vor Augen geführt hat. Trotzdem kommt es hin und wieder vor – und das nicht nur bei Schwulen – dass sich Männer in Frauenklamotten werfen und anders herum.
Diese Geschichte handelt von einer Zeit, in der ich noch gar nicht bewusst auf Männer gestanden habe. Ich war mit meiner damaligen Freundin, meinem Bruder und einer weiteren Freundin bei Verwandten in der Bretagne. Die Gegend ist wunderschön, das Grundstück, auf dem wir zelteten, liegt zwei Meter vom Meer entfernt und durch die „Trilingualität“ mit Deutsch, Französisch und Englisch konnte ich alle drei Sprachen plötzlich gleich gut bzw. schlecht.
Eines Abends beschlossen wir, in eine Disco zu fahren. Das Besondere: Frauen hatten freien Eintritt. „Und Männer, die wie Frauen angezogen sind. Das machen wir natürlich!“ eröffnete uns mein Cousin fröhlich. Er ist wohlgemerkt hetero, und die anderen, die mit wollten, verschwendeten an Nebensächlichkeiten wie die sexuelle Orientierung ebenfalls keinen Gedanken. Hier ging es einzig und allein um den Spaß an der Freude.
So ließen wir uns also von unseren Damen ausstatten: Ich bekam ein blumiges, luftig-dünnes Sommerkleid mit tiefem Ausschnitt, das weit oberhalb meiner Knie endete. Dazu gab es eine hübsche Kette. Leider hatten wir weder Perücken noch entsprechende Schuhe – und auch die haarigen Beine blieben, wie sie waren. Für Könner ist diese Verkleidung natürlich stümperhaft, aber wir kamen uns sehr weiblich vor. Leider habe ich die Fotos verlegt.
Also machten wir uns mit Röcken und Kleidchen auf zur Disco und kamen auch ohne zu Bezahlen an der Kasse vorbei. Trotzdem gingen mir beim Ankommen etwas die Augen über: Ich hatte erwartet, auf den ersten Blick nur Frauen wahrzunehmen. Aber dem war leider nicht so; die meisten Männer hatten es vorgezogen, lieber den Eintrittspreis zu zahlen. Neben zwei-drei anderen „Frauen“ waren wir die einzigen bunten Vögel auf dieser Party. Entsprechend wurden wir auch angeschaut. Und: Mir wurde an diesem Abend öfter an den Hintern gepackt als an allen bisherigen Besuchen von schwulen Etablissements zusammen! Natürlich hat sich nie jemand zu dieser Tat bekannt; immer wenn wir uns umdrehten, schauten alle sehr unbeteiligt.
Aber wir zogen es durch und hatten bei der ab und zu künstlich in Brand gesteckten Bar auch eine Menge Spaß. Wie man sich als Frau fühlt, wenn man mit den Augen ausgezogen wird, konnte ich dann noch in einer kurzen Situation erfahren: Wir hatten uns zum Abkühlen auf eine Art Balkon begeben und schauten auf die Tanzfläche herab. Der Grund, weshalb nach einer Weile einige der Tanzenden zu uns nach oben starrten und nicht mehr wegsahen, wurde uns erst kurz danach klar: Man schaute uns unter die Röckchen!
In einer Bonner Schwulenkneipe ist mir das Gefühl, mit den Augen ausgezogen zu werden, einmal viel intensiver bewusst geworden: Ich wurde im Vorbeigehen von einem Herrn an der Bar auf eine Art und Weise gemustert, die mich erschreckte. Er hatte sich auf seinem Barhocker so weit nach mir umgedreht, dass er fast vom Stuhl gefallen wäre. Liebe Frauen, seitdem weiß ich, wie sich das anfühlt, und ich kann euch beipflichten: So ein Blick hat nichts mehr mit einem Kompliment zu tun, das ist bloße Geilheit.
Unser Discoabend verlief neben diesen Hinterngrabschereien und dem mit Blicken fixiert Werden ohne Zwischenfälle. Die Show stahl uns – das entspannte für eine Weile – kurz jemand, der sich wesentlich besser heraus geputzt hatte als wir: Er trug eine schulterlange, blonde und lockige Perücke mitsamt kompletter Frauenausstattung bis hin zu passenden Stiefeln und tanzte auf einem Tisch.