Als ich diesen Spruch neulich twitterte, war das nur aus dem Ärmel geschüttelt, ohne viel darüber nachzudenken. Allerdings folgte eine – für meine Verhältnisse – große Resonanz, weshalb ich darüber noch ein paar Mal nachdachte. Entstanden ist der Tweet aus einem „ich hab viel zu tun, will mich davon aber nicht beeinträchtigen lassen“-Gespräch mit einem Freund. Ich habe mir aber nun die Frage gestellt, was es eigentlich heißt, sich für Stress keine Zeit zu nehmen. Der Gag daran ist ja offensichtlich, aber es steckt mehr dahinter.
Was ist denn überhaupt stressig? Zuerst einmal sind für die Menschen unterschiedliche Dinge auch ganz unterschiedlich stressig. Für mich sind beispielsweise Bewerbungsgespräche stressig, Autofahren dagegen überhaupt nicht. Ich werde auch nicht nervös, wenn mein Vorgesetzter mich zu sich ruft, dafür stehe ich aber unter Strom, wenn zu viel Arbeit ansteht. Es mag Leute geben, die fahren ungern Auto, aber sie langweilen sich bei Personalgesprächen. Jeder hat also seine eigenen Stressbereiche – natürlich mit Überschneidungen. Wer wird schon bei der Geburt des eigenen Kindes die Ruhe bewahren können…
Auf dauerhaften Stress reagiert man körperlich und wird krank. Das ist leicht einzuordnen und meist auch schnell wieder abzustellen. Warnsignale des Körpers sind aber manchmal nötig, um wieder auf den Teppich zurück zu kommen (abgesehen davon verringert Stress die Lebenserwartung). Ziel einer eigenen „Stresstherapie“ sollte es also sein, den negativen Disstress zu verringern.
Und genau das sollte mein Tweet bedeuten: Ich habe keine Lust, mir unnötig Stress zu machen, das Leben ist sowieso schon voll genug. Die Dinge, die ich im Büro erledigen muss, werden wohl pünktlich fertig, zur Not müssen eben Überstunden gemacht werden. Aber gerade die werden mit einem gemütlichen Kaffee und einem langen Blick aus dem Fenster eingeläutet. So auch nach der Arbeit: In der Weiterbildung ist gerade Klausurenphase, wenn ich also nicht arbeite, bin ich entweder in der Schule oder ich lerne. Aber doch bitte ohne Druck.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass Menschen – mich eingeschlossen – viel zu selten einmal kurz anhalten und sich auf das Wesentliche konzentrieren. Lohnt sich der Grund für meinen kurz bevorstehenden Wutanfall eigentlich? — Ist es wirklich entscheidend für mein weiteres Leben, ob ich heute Person A oder Person B treffe… oder ob ich einfach zu Hause bleibe und den Film schaue, den ich schon so lange sehen will? — Es ist hier nicht aufgeräumt, aber dafür bin ich ausgeschlafen.
An einigen Stellen stolpert man doch immer wieder über Beispiele, die einem die Einfachheit des Lebens vor Augen halten. Herrje, dann sind halt die Blumen auf dem Balkon im Winter eingegangen, na und? In Erde wühlen ist sowieso gut für die Seele. Aber auch Dinge mit größerer Tragweite lassen sich auf das Wesentliche kürzen: Ein Autounfall ist dann nicht schlimm, so lange es nur ein Blechschaden ist. Deshalb Geschäftstermine verpasst? Dafür lebt man aber noch – statt einem Grund für Stress also eher ein Grund zur Entspannung und einem großen Eis in der Sonne.
Denkst du gerade, dass ich nicht mehr alle Nadeln an der Tanne habe? Dann sprich doch einmal mit einem Menschen, der ein wirklich schlimmes Schicksal erfolgreich hinter sich gebracht hat: eine Krebserkrankung zum Beispiel. In Sachen „das Leben leben“ und „wissen, was wirklich wichtig ist“ wird er wahrer Meister sein. Bei so jemanden ruft der tobende Chef, der seinen Kaffee über die neuen Unterlagen geschüttet hat, doch allenfalls ein mitleidiges Lächeln hervor.
Ich rufe also dazu auf, öfter anzuhalten und sich kurz zu überlegen, wie man sich gerade fühlt. Ist da Stress im Spiel? Lohnt sich das? Oder sind eigentlich andere Dinge wichtiger? Ich kann dir versprechen, dass das gut tut. Du wirst viel eher merken, wie unwichtig im Vergleich zu deinem restlichen Leben Dinge wie eine Grippe, die verpatzte Klausur und sonstige Geschichten sind, die anfangs riesengroß erscheinen aber nach einer gewissen Zeit verblassen und nicht mehr sind als… Vergangenheit.
Es kann so gelassen zugehen. Mach mit – und lebe länger.