Worin besteht der Unterschied zwischen Trauer und Schwermut?

Im Projekt *.txt schreiben alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer alle drei Wochen einen Beitrag zu einem bestimmten Wort. Diesmal lautet das Wort „Schwermut“ – und damit habe ich mich schwer getan. Eine Definition kann man im Internet schnell finden, eigene Erfahrungen zu diesem Thema habe ich an der einen oder anderen Stelle schon verfasst. Worüber will ich also schreiben?

Während ich darüber nachdachte, kam mir in den Sinn, dass in der heutigen Gesellschaft (der Begriff ist schwammig, ja) häufig noch nicht ganz angekommen ist, wo eigentlich die Trennlinien verlaufen zwischen einer traurigen Niedergeschlagenheit und einer schwermütigen Depression. Gerade in englischen Filmen oder auch in Podcasts fällt mir häufig auf, dass von «I am depressive» oder «da wird man ja depressiv» die Rede ist, obwohl eigentlich eine kurze Niedergeschlagenheit gemeint ist.

Aber erst etwas zum Wort selbst: Seit einigen Jahren hat die Depression ein neues Gesicht bekommen: den Burnout. Dabei handelt es sich im medizinischen Sinne aber um nichts anderes als eine Erschöpfungsdepression mit anderem Namen. Darum spreche ich hier ausschließlich von Depressionen.

Um einen Ansatzpunkt zu finden, unterscheidet man bei der Stärke der Trauer: Handelt es sich um ein sozusagen normales Gefühl? Normal ist ein Trauerzustand, weil das Leben nicht immer purer Sonnenschein ist. Menschen oder Tiere verlassen uns, der Job wird gekündigt oder gewechselt, Beziehungen halten nicht ewig und so weiter. Dies sind alles Gründe, die ein normales, mittelmäßiges Standardgefühl etwas erschüttern können. Gründe solcher Art gibt es ständig, die Frage ist, wie die oder der Betroffene es empfindet.

Handelt es sich aber stattdessen um ein nicht mehr normales, also um ein krankhaftes Gefühl? Als krankhaft gilt die Empfindung, wenn sie nach bestimmten Regeln zum Beispiel zu stark ist oder zu lange dauert. Betroffene fühlen sich in der Zeit in ihrem Leben sehr eingeschränkt und sind eventuell nicht mehr in der Lage, bestimmte Tätigkeiten auszuführen, also arbeiten zu gehen oder den Haushalt zu erledigen. Hinzu kommen häufig neben dem psychischen Leiden auch körperliche Probleme, zum Beispiel Kopf- oder Magenschmerzen, besonders viel oder wenig Appetit, häufigere Erkältungen und so weiter – auch bekannt unter dem Oberbegriff Psychosomatik.

Als Küchenpsychologe könnte man jetzt meinen, dass gerade Krankheiten, die nur im Kopf geschehen, schwer einzuordnen wären. Überraschenderweise gibt es aber eine ganz simple Prüfung dafür, die sogar im ICD-10 so beschrieben wird, was bedeutet, dass sich auch Ärzte danach richten.

Die Frage lautet: Leiden Sie seit mehr als zwei Wochen unter…?

  • Gedrückter Stimmung
  • Interesselosigkeit und/oder Freudlosigkeit, auch bei sonst angenehmen Ereignissen
  • Schwunglosigkeit und/oder bleierner Müdigkeit und/oder innerer Unruhe
  • Fehlendem Selbstvertrauen und/oder fehlendem Selbstwertgefühl
  • Verminderter Konzentrationsfähigkeit und/oder starker Grübelneigung und/oder Unsicherheit beim Treffen von Entscheidungen
  • Starken Schuldgefühlen und/oder vermehrter Selbstkritik
  • Negativen Zukunftsperspektiven und/oder Hoffnungslosigkeit
  • Hartnäckigen Schlafstörungen
  • Vermindertem Appetit
  • Tiefer Verzweiflung und/oder Todesgedanken

(Quelle: deutsche-depressionshilfe.de)

Wer auf mindestens zwei Punkte mit Ja antwortet, der erlebt laut Definition gerade eine depressive Episode/Verstimmung – so einfach ist das. Genau so einfach lässt sich also auch feststellen, wer eben keine depressive Zeit durchlebt.

Es ist gut, dass Depressionen zunehmend entstigmatisiert werden. Die Menschen verstehen, dass psychische Krankheiten genauso wie ein gebrochenes Bein oder eine Grippe gut behandelbar sind und die Erkrankten nicht simulieren oder Waschlappen sind. Trotzdem finden sich noch zu häufig online Aussagen wie diese: »Mein Handy ist runtergefallen und das Display ist gesprungen #Depression«. Da ist es kein Wunder, wenn sich wirklich Kranke mit eigenen Lagebeschreibungen zurück halten – sozialer Rückzug ist übrigens auch eines der Symptome.

Das ganze Krankheitsbild ist wiederum auch nicht binär entweder in harmlos oder hoch dramatisch einteilbar. Eine Trennung nach langer Beziehung beispielsweise kann zu einer depressiven Phase von einigen Wochen oder Monaten führen. Ebenso ist in der Abklingphase einer schweren Grippeerkrankung tatsächlich eine kurze depressive Phase von ein paar Tagen möglich. Weil der Grund in solchen Fällen aber bekannt ist, ist die notwendige Behandlung vom Arzt gut einzuschätzen und auch wenn man sich als Betroffener in dem Moment richtig schlecht fühlt, ist Besserung in Sicht.

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Wenn man Erkrankte nach ihren Gefühlen fragt, lassen sich die Antworten je nach Schwere der Erkrankung fast immer auf ein paar grundlegende Aussagen eindampfen. Darunter findet sich ohne Ausnahme immer auch die Schwermut, womit wir beim eigentlichen Grund für diesen Eintrag wären. Die Schwermut als Gemütszustand unterscheidet sich von der Traurigkeit darin, dass sie permanent ist (oder sich zumindest so anfühlt).

Zwei etwas überzogene Beispiele: Wer einem traurigen Menschen ein Eis schenkt, hat den Moment besiegt, die Trauer verfliegt. Wer hingegen einem schwermütigen Menschen ein Eis schenkt, kann verschiedene Reaktionen hervorrufen: Verwunderung, Enttäuschung, Ärger, Verwirrung oder gar keine Reaktion, aber auch Dankbarkeit, Hoffnung oder ein Lächeln. Bei der Schwermut versiegt das gute Gefühl allerdings nach kurzer Zeit wieder, zurück bleibt graue Hoffnungslosigkeit (das ist auch so ein typisches Gefühl).

Warum ist das so?

Trauer ist im Grunde passiv. Sie hat eine Ursache, diese Ursache verblasst aber mit der Zeit, und damit verschwindet auch die Trauer. Wie eine Glocke, die man einmal anschlägt und die eine Weile nachklingt. Schwermut findet sich selbst hingegen großartig: Sie brennt heiß und versengt alles in der Nähe. Schwermut funktioniert wie ein Waldbrand im Hochsommer. Ein gekauftes Eis wirkt da wie ein Glas kühles Wasser, das man ins Feuer schüttet: Es zischt zwar ordentlich und die Flammen lassen kurz nach, aber das ändert den Zustand nicht besonders stark.

Wie geht man daher mit Schwermut um? Die Behandlung benötigt je nach Schwere unterschiedliche Methoden, nacheinander oder gleichzeitig. Zur Auswahl stehen Medikamente, Gesprächstherapien und kleinteiliges Beobachten und Steuern des Lebenswandels. Alle Methoden bekämpfen das innere Feuer auf ihre Art und Weise. Um beim obigen Beispiel zu bleiben: Medikamente und Gesprächstherapie nehmen dem Feuer die Luft weg und sorgen dafür, dass es nicht zu stark brennt, selbst wenn ausreichend Brennmaterial vorhanden wäre. Eine gesunde und vernünftige Lebensweise wiederum sorgt dafür, dass dem Feuer der Brennstoff ausgeht. Und schöne Momente wie ein gekauftes Eis schütten zudem kleine Portionen Wasser ins Feuer.

Ich weiß, dass es zu viel verlangt ist, jeder Mensch möge fortan seine Aussagen hinsichtlich der genannten Bedeutungsnuancen prüfen. Das ist auch gar nicht möglich. Trotzdem möchte ich ein kleines bisschen dazu beitragen, unsere Sinne etwas zu schärfen. Warum nicht beim nächsten Mal kurz darüber nachdenken, was man sagt oder schreibt?

Sollten Begriffe wie Depression, Burnout oder auch Schwermut in Zukunft noch weniger inflationär für alle Arten von Traurigkeit gebraucht werden, entstünde ausreichend Platz für diejenigen, die wirklich in solchen Situationen stecken. Sie hätten dann mehr Möglichkeiten, ihre Gefühle zu beschreiben, ohne von unwissenden Beschreibungs-Mitbenutzern überrannt zu werden.

Denn: Wer an einem Schnupfen leidet, verkündet ja auch nicht, dass er Nasenbluten hat.

Foto: debbienews / pixabay

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