Wenn es ans Schreiben der Monatszusammenfassung geht, denke ich immer „oha, diesmal habe ich wirklich gar nichts erlebt. Dann schaue ich nach und stelle fest: stimmt überhaupt nicht. Wie viel der Mensch vergisst, es ist erstaunlich.
Der Monat beginnt mit einem seltsamen Telefonat: Da muss ich von zu Hause einen Abschleppdienst für jemanden bestellen, der irgendwo bei Leverkusen-Opladen auf der Autobahn liegen geblieben ist, weil er Diesel in seinen Benziner gefüllt hat. Es gibt echt Leute… Sprachlich ist die Sache auch eine Herausforderung und es fällt mir zu, mutige Abschleppleute zu finden für eine mir völlig unbekannte Gegend. Wie haben wir eigentlich vor digitalen Medien wie Suchmaschinen, Übersetzungsdiensten und Kartenanbietern überlebt? Vermutlich haben wir einfach gewusst, welcher Treibstoff in ein Auto gehört.
Bei einer Weiterbildung lerne ich dieser Tage viel über Kommunikation in E-Mails, vor allem über die Fehler, die man dabei machen kann. Mir war bewusst, dass Absender und Empfängerin völlig unterschiedliche Emotionen in eine E-Mail hineinschreiben beziehungsweise aus ihr herauslesen, aber es ist interessant zu sehen, wie weit das geht. Und wie sehr das mit der eigenen Sozialisation, der eigenen Kultur und auch dem eigenen aktuellen Befinden verknüpft ist.
Apropos Befinden: Seit Besprechungen mindestens hybrid, wenn nicht sogar komplett digital stattfinden, habe ich keine Geduld mehr für unnötiges Absitzen von Gesprächen. Ich bin erfreulich selten in der Situation, in einer Besprechung zu sein, deren Thema mich nichts angeht, aber wenn es doch einmal dazu kommt, bin ich schlagartig genervt und kann nicht mehr still sitzen. Sind es große Runden, mache ich gern die Kamera aus, höre zu und falte die Wäsche. Wie konnte ich früher in großen Besprechungsräumen sitzen und für mich irrelevante Berieselung ertragen? Und das auch noch ohne Wäschefalten?
Über die Karnevalstage versinkt das Rheinland in Konfetti. Auf der Hauptstraße fahren einige Trecker mit geschmückten Anhängern und so lauter Musik vorbei, dass die Gläser im Schrank vibrieren (das ist natürlich nur minimal übertrieben). Ich nutze einen arbeitsfreien Brauchtumsfeiertag und mache mit zwei weiteren Urlaubstagen mein ohnehin langes Wochenende zu einem noch längeren. Der erste freie Tag beginnt sehr früh mit dem Fädenziehen nach einer kleinen Haut-Operation. Die Praxis ist noch geschlossen, ich bin der erste Patient und mir öffnet eine mit teuflischen Hörnern verkleidete Arzthelferin, das finde ich lustig. Abgesehen von ähnlichen visuellen Überraschungen beim Einkaufen oder Spazieren spielt Karneval dieser Tage bei mir aber keine Rolle.
Während das Rheinland schunkelt, wird auch im fernen China gefeiert: Dort begehen sie das Chinesische Neujahrsfest, das diesmal im Zeichen des Holz-Drachen steht. Eine Astrologie-Seite fabuliert: „Holzjahre markieren Perioden beschleunigten Wachstums. Wie ein Schössling, der sich durch die Erde schiebt und zu einem hoch aufragenden Baum heranwächst. Der Frühling ist die Jahreszeit, die mit Holz assoziiert wird, was das Jahr 2024 zu einer Zeit der Erneuerung, Veränderung und Wiedergeburt macht.“ Inhaltsleerer Unsinn natürlich, aber ich habe nichts dagegen, diesen Frühling als Zeit des Aufbruchs und der Erneuerung zu verstehen, ganz abgesehen davon, dass sich diese Jahreszeit eh immer so anfühlt. Eine etwas realistischere Sicht auf den Drachen bietet die taz.
An einem Wochenende gehen wir zu viert brunchen. Das kleine Café liegt in einem Obstanbau mit Blick auf eine Plantage mit noch kahlen Apfelbäumen, im Sommer muss es hier herrlich sein. Am Anfang steht nur das Essgeschirr vor uns, wir warten auf unser zweifaches zwei-Personen-Riesenbrunch und ich packe derweil mein Medikamentendöschen aus. Zwei Pillen kullern auf meinen Teller. Mein Partner legt eine auf seinen eigenen und wir schauen unsere Freunde an. Beide fangen gleichzeitig an zu lachen, als einer von ihnen ein gefaltetes Taschentuch hervor holt und fünf Tabletten auf seinen Teller purzeln lässt. Der vierte in unserer Runde grinst, sagt erst, er hätte keine Medikamente dabei, gibt aber dann zu, seine schon morgens nach dem Aufstehen genommen zu haben. Wir sind alle Anfang 40 und finden, dass es zu früh für solch ein Chemiegelage ist. Zum Glück kommt dann das Frühstück.
Beim Essen fällt uns auf, dass der Rahmen der Eingangstür gesplittert ist, so als wäre sie gewaltsam aufgedrückt worden. Die Bedienung bestätigt den Gedanken, denn es wurde kürzlich dort eingebrochen. Wir sind verwirrt, was will man in so einem kleinen Laden bitte stehlen? „Die Kaffeemaschine“, lautet die Antwort. Ich wiederhole mich, aber: es gibt echt Leute…
Im Auto auf dem Heimweg meint einer: „Sagt mal, haben wir nicht viel zu wenig bezahlt? Ich glaube, die haben uns nur eins der Riesenbrunchs berechnet.“ Wir rechnen nach: Tatsächlich schulden wir dem Café über 30 Euro. Also drehen wir um und reklamieren die Rechnung. Die Angestellten sind überrascht, weil das Kassensystem in der Küche die richtige Bestellung abgeliefert hat, am Ende aber tatsächlich ein Brunch zu wenig berechnet wurde. Der Fehler lässt sich nicht sofort aufklären, ich wäre ja neugierig über die technischen Zusammenhänge gewesen. Wir zahlen ein zweites Mal und fahren guten Gewissens heim. Ganz ehrlich: Bei einer großen Kette wie IKEA oder McDonalds hätte ich das nicht gemacht. Aber bei einem kleinen Unternehmen, dem gerade erst die Kaffeemaschine gestohlen wurde? Keine Frage.
Nochmal zu den Medikamenten: Im letzten Monatsbericht erzählte ich von den vielen Nebenwirkungen, die das neue Antidepressivum habe. Im Februar werden die zwar weniger, aber einige bleiben überraschend hartnäckig bestehen. Ich soll jetzt zum Beispiel etwas mehr Antrieb haben, kann aber jeden Tag problemlos einen anderthalbstündigen Mittagsschlaf einschieben, nach dem ich zusätzlich eine halbe Stunde brauche, um wieder in Trab zu kommen. Es ist sowohl beeindruckend als auch erschreckend, was so kleine Tabletten mit einem Körper anstellen können. Die Bewertung des Gesamtergebnisses dieser Medikation schiebe ich aber noch etwas auf, nachdem ich insbesondere im Februar nochmal einige sehr unangenehme Tage hatte.
Es ist wiederum total angenehm, über diese Erkrankung offen mit anderen reden zu können. Meine Therapeutin nimmt natürlich überhaupt kein Blatt vor den Mund und fragt auch nach Details, die ich meinem Umfeld eher nicht zumute. Aber ich werde in diesen Wochen mehrfach zwanglos gefragt, wie denn alles so liefe mit den Medikamenten und wie es mir ginge. Und das immer genau so nebenbei, wie man auch über andere Themen spricht. Diese Erkrankung ist ein Teil des restlichen Lebens, nicht mehr – aber auch nicht weniger.
Gelesen
Plitsch und Platsch: Anke Gröner beschreibt ganz wunderbar, wie schön es ist, etwas zu tun, das man vielleicht nicht gut kann, aber man tut es, weil es Spaß macht. Nicht, weil man damit messbaren Erfolg haben könnte – oder gar wollte: „The Joy of alles, was man nicht gut kann, es aber trotzdem macht. Vor sich hinzustümpern, ist nämlich super.“ So führe ich auch diesen Blog.
Ärgere dich: Im Web stolpert man schnell über eine Liste der Verhaltensweisen, die „erfolgreiche Menschen“ an den Tag legen, und die wird dann problematischem Verhalten gegenübergestellt, das „erfolglose Menschen“ pflegen. Aventurer macht sich Gedanken dazu und kommt zu dem Schluss, dass es zu einem erfolgreichen (im Sinne von zufriedeneren) Leben auch gehört, sich mal so richtig zu ärgern, um Dinge danach abhaken zu können: „Also ärgere dich! Hin und wieder. Kurzzeitig.“ Finde ich gut.
Bücher habe ich auch gelesen und gehört, aber dieser Eintrag ist schon wieder viel zu lang 🤷♂️
PS: Wie fandet ihr die Form des Genderns in diesem Artikel? Seid ihr im dritten Absatz auch über „Absender und Empfängerin“ gestolpert, so wie ich beim Korrekturlesen?
Lieben Dank für die Erwähnung, Thomas! Und ja, ich plädiere nicht dafür, zum HB-Männchen zu werden, sondern sich zumindest manchmal über etwas *wirklich* Ärgerliches mal richtig zu ärgern. Der Geist ist dann ein paar Tage damit beschäftigt, das zu verarbeiten. Aber wenn er dann damit fertig ist, geht es einfacher und der Ärger ist beim nächsten Mal schon deutlich kleiner.
Klasse Ehrlichkeits-Aktion auch in dem Café! So muss das! Einen schönen März dir! Jürgen
Ja, ich bin darüber gestolpert wie immer noch über jede Form des Genderns. Ich fürchte, das wird sich nie ändern, man sehe es mir nach.
Deinem Adlerauge entgeht nichts!
> PS: Wie fandet ihr die Form des Genderns in diesem Artikel?
Ich habe es – offen gestanden – überhaupt nicht bemerkt.
Interessant! Ich überlese hingegen Varianten wie „Autor:innen“ ohne es zu merken.