Unter „Was machst du eigentlich den ganzen Tag“, kurz #wmdedgt, versammeln sich die Tagebuchbloggenden an jedem 5. eines Monats und berichten vom Tag. Initiiert wurde das von Frau Brüllen.
Heute wartet ein Standard-Tag auf mich; für WMDEDGT hätte es diese Woche spannendere Tage gegeben, aber so ist das halt. Der Wecker klingelt zur Standardzeit gegen 6:20 Uhr und mein erster Gedanke ist „Hä?“. Ich kann anfangs nämlich nur schwer glauben und danach einsehen, dass diese Nacht schon wieder vorbei sein soll. In der letzten Zeit schlafe ich schlecht und mache dafür die Allergie verantwortlich, aber das ist dem Wecker natürlich egal. Es ist alles so inakzeptabel.
Als ich wenig später die Dusche verlasse, klingelt mein Telefon: die Physiotherapie-Praxis. Meine Behandlerin ist erkrankt, jetzt müssen alle ihre heutigen Termine verschoben werden. Deren Arbeitstage sind in 20 Minuten-Slots getaktet, bei einem Vollzeitjob bedeutet das über 20 Termine am Tag. Schon sehr nervig, vor allem für die, die jetzt telefonisch alles umplanen müssen. Ich darf trotzdem heute noch kommen und werde von einer anderen Person behandelt werden. Der Kaffee zum Frühstück schmeckt gut, und während der Computer hochfährt, unterhalte ich mich mit einer Kollegin über Allergien und Hormone und erst jetzt bemerke ich, dass es mir offensichtlich während solch eines Gesprächs nicht einmal mehr auffällt, wenn wir ständig über Krankheiten sprechen. Das Alter.
Die Arbeit ist zäh. Freitags scheine ich entweder von der Woche ausgelaugt zu sein oder mit einem arbeitswochenendmäßigen Motivationsschub noch richtig was wegarbeiten zu können – heute tritt eindeutig der erste Fall ein. In der Mittagspause esse ich relativ geschmacklose Nudeln von vorgestern und fummele währenddessen an einem Thermotrinkbecher herum. Den hatte ich am Mittwoch mit im Büro, weil ich seltsam früh aus dem Haus musste und keine Zeit für Kaffee daheim war. Seither versuche ich, ihn zu reinigen, aber die Teile des Deckels sind fest miteinander verbunden, auch wenn es nicht so aussieht. Was denken sich Menschen, die so einen Kram entwerfen? Der Becher ist dicht, das ist super, aber ich fürchte, ich muss ihn trotzdem bald wegwerfen, wenn er unsäuberbar immer usseliger wird.
Nachmittags verabschiede ich eine Kollegin in ihren längeren Urlaub und während wir telefonieren, beschließt mein Computer, selbstständig Geräusche von sich zu geben, vielleicht will er mitreden. Das Getöne passt thematisch ins Gespräch, und weil es nicht aufhört, lachen wir beide Tränen und finden, so verheult ist das eine passende Verabschiedung.
Nach der Arbeit befasse ich mich ein wenig mit dem #BookTok-Hashtag bei TikTok (worum es dabei geht, erklärt z.B. die Tagesschau). Aber die „Rezensionen“ sind mir bislang viel zu kurz, eventuell kann ich dem Algorithmus noch klarmachen, dass ich von einem Buch mehr wissen will, als dass dessen Einband hübsch gestaltet ist. Nichtsdestotrotz endlich mal ein interessanter Trend.
Danach werde ich schon wieder müde, was auch sonst. Ob das eine Erfindung der Kuscheltier-, Bett- und Sofaindustrie ist? Der dritte Kaffee schmeckt nicht mehr, aber er bewirkt ohnehin nichts. Ich gieße ihn fort, setze mich an den Küchentisch und schreibe für eine Weiterbildung eine Zusammenfassung des letzten Treffens, deren Anfertigung ich in einem unbedachten Moment voller Motivation zugesagt hatte.
Dann muss ich los zur Physiotherapie. Ich bin spät dran und wackele, den Rucksack mit Sportklamotten auf dem Rücken, eilig durchs Dorf und komme mir damit wie ein Schuljunge vor. Unterwegs liegt in einer Einfahrt ein älterer Herr auf den groben Pflastersteinen, er blutet im Gesicht und scheint sich die Nase gebrochen zu haben. Mehrere Personen helfen ihm auf, klären seinen Zustand, jemand ruft bereits den Rettungsdienst. Schön, dass ihm sofort geholfen wird. Ich entscheide mich dagegen, nutzlos daneben zu stehen und gehe nachdenklich weiter: In Zeiten mit stärkeren Schmerzen sah ich mich beim Spazieren schon öfter in der Situation dieses Mannes.
Kurz danach liege ich zwei Straßen weiter unter der Wärmelampe und es fährt ein Notarzt mit Lalülala am Gebäude vorbei. Ich drücke die Daumen, bin aber gedanklich bald wieder bei mir, weil heute anstrengende Kräftigungsübungen anstehen. Anschließend lerne ich neue Dehnübungen (und ich dachte, ich kennte inzwischen alle). Auf dem Rückweg tröpfelt es aufs Handydisplay, als ich meinen Freund zwecks Abendgestaltung anrufen will. Es sind 18 Grad und ist damit für einen 5. April viel zu früh für laue Sommernachmittage. In der Unfalleinfahrt wurden die blutigen Pflastersteine abgespritzt, die Nachbarn vertikutieren, ich muss angesichts eines familiären Insider-Witzes deswegen in mich hinein lächeln und freue mich außerdem, zu Hause die Sportklamotten los zu werden: ich bin tatsächlich zu dick angezogen.
Das Wochenende beginnt, wir gehen aus. Das erst kürzlich eröffnete italienische Café im Ort muss möglicherweise bald schon wieder schließen, wenigstens nicht wegen zu wenig Kundschaft. Heute serviert man dort echt italienische Pizza. Ich gönne mir dazu einen Aperitif, ich muss ja nicht mehr fahren. Vor dem Heimweg eskaliert jemand noch an der Süßkramtheke, wie soll ich bei Schokoladenkuchen und „das ist mit Vanillezitronencreme gefüllt und wird in meinem Heimatdorf hergestellt“ bitte widerstehen, was die „Mamma des Hauses“ so freut, dass sie uns obendrein zwei selbst gemachte Portionen Tiramisu in die Hände drückt. Während ich diese Zeilen schreibe, bin ich kurz davor, aufzugeben: die Portion sieht klein aus, ist aber eine komplette Mahlzeit.
Sieh an, es war doch kein Standard-Tag. Vielleicht gibt es die bei genauerem Hinsehen auch gar nicht.