Christine

Im Kindergartenflur war mein Kleiderhaken der mit dem Elefanten. Das konnte ich mir gut merken, ich mochte den Elefanten. Manchmal pfiff ich, wenn ich meine Jacke dort aufhängte, vielleicht tat ich auch nur so, weil ich noch gar nicht pfeifen konnte, ich weiß es nicht mehr. Neben meinem war der Kleiderhaken mit der Banane, da hing Christine ihre Sachen auf. Und wenn wir nebeneinander standen, pfiff sie manchmal mit. Dann guckten wir uns an, mussten losprusten und kicherten dann noch eine Weile.

Christine wohnte nur ein paar Meter vom Kindergarten entfernt und konnte schon allein nach Hause laufen. Manchmal holte ihre Mutter sie trotzdem ab, und bei Festen sah ich sie natürlich auch. Sie hatte tief eingefallene Augen, und anfangs fanden wir anderen Kinder das gruselig. Sie war aber ungemein freundlich.

Manchmal besuchte ich Christine zu Hause. Sie wohnte in einem alten Haus mit schiefen Wänden, knarzendem Holzboden und sehr hellem Wohnzimmer, das nie aufgeräumt und sehr gemütlich war. Sie hatte die größte Sammlung PETZI-Comics, die ich je gesehen habe und manchmal durfte ich ein paar davon ausleihen. Hinter dem Haus war ein kleiner, verwilderter Garten, in dem wir im Sommer spielten.

Einmal machte ihre Mutter uns Brote mit zähem, weißen Honig. Sie waren so lecker, dass ich eins nach dem anderen verschlang. Später fragte Christines Mutter meine Mutter, ob ich zu Hause denn genug zu essen bekäme. Wenn ich jetzt im Supermarkt vor der Brotaufstrichauswahl stehe, denke ich an die Honigbrote, wie sie in der Küche auf einem Holzbrett lagen.

Heute habe ich Christine im Internet gesucht. Bei den Fotoergebnissen erkannte ich sie sofort wieder, obwohl ich sie über dreißig Jahre nicht gesehen habe. Sie arbeitet an einer Universität und ist auf YouTube zu sehen, wie sie ihre Forschung vor einem Plenum vorträgt.

Ihre Stimme erkenne ich nicht wieder, aber ihr Lächeln. Sie könnte mir nur vertrauter sein, wenn sie dabei ein Honigbrot in der Hand hielte.

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