Tagebuchbloggen? Tagebuchbloggen. Ich praktiziere das für mich selbst schon seit Jahren. Mein allererstes Tagebuch war ein kleines Büchlein mit einem winzigen, nutzlosen Schlösschen daran. Es fühlte sich trotzdem gut an, die Gedanken weg- und abzuschließen. Heutzutage ist das alles digital, aber immer noch vor fremden Augen geschützt. In den letzten Monaten reifte allerdings in mir der Gedanke, ich könnte auch einmal das Gegenteil versuchen: Das Schloss öffnen und Erlebtes wie Gedachtes in eine öffentlich präsentierbare Form bringen. Voilà, hier kommt der erste Monatsrückblick, und gleich mit ordentlicher Verspätung. Ob’s bei dieser Form bleibt, wird sich zeigen, reifen muss alles, sogar und insbesondere Text.
Mein Juli fing mit dem Bachmannpreis an. Den kannte ich bis dahin gar nicht und ich weiß auch nicht mehr, wie ich überhaupt auf die Verleihung dieses Preises aufmerksam wurde – es kann eigentlich nur ein Beitrag auf Mastodon gewesen sein. Die Verleihung des Bachmannpreises wird jedenfalls über mehrere Tage zelebriert, denn die eingereichten Texte werden von den Autor:innen live vorgetragen. Ich schaltete buchstäblich mittendrin ein und schaute nach Ende des Tages die vorherigen Tage rückwärts nach. Prosatext-Binging sozusagen. Gewonnen hat am Ende nicht mein Favoritentext, aber Geschmäcker sind unterschiedlich.
Ich stellte in diesen Tagen wieder einmal fest, wie sehr ich Möglichkeiten der flexiblen Arbeitszeitregelung und der „mobilen Arbeit“ mag. So mobil ist diese Arbeit in meinem Fall übrigens gar nicht, denn in einem Café oder einem Zug könnte ich mich nur schwer konzentrieren. Meine „mobile“ Arbeit beschränkt sich auf den häuslichen Bereich. Ein einziges Mal arbeitete ich aus der Cafeteria eines Krankenhauses, mit Smartphone-Hotspot, geräuschunterdrückenden Kopfhörern und der Hoffnung, kein Telefonat annehmen zu müssen. Aber auch E-Mails bearbeiten fand ich schwierig, weil ich ständig auf die anderen Gäste und den vor mir stehenden Muffin starrte statt auf den Bildschirm. Wie dem auch sei: Neulich unterbrach ich die Heimarbeit für einen kleinen Krankenfahrdienst und fragte mich, wie solche unverschiebbaren und tagsüber stattfindenden Arzttermine wohl vor der flexiblen Arbeitszeitregelung gehandhabt wurden. Hat man sich dann Urlaub nehmen müssen? Verschwendung. So machte ich einfach anderthalb Stunden „Pause“ und holte mir in der Wartezeit sogar einen tollen Kaffee. Großartig.
Apropos Kaffee: In meinem kleinen Dörfchen gibt es nur sehr wenige fußläufig erreichbare Cafés und Restaurants. Ich wusste das beim Umzug und beschwere mich darum nur leise, finde es aber trotzdem schade. In diesen Tagen hat aber ein neues Café eröffnet und ich habe beschlossen, jedes Mal mindestens einen kleinen Snack auf die Hand zu kaufen, wenn ich daran vorbei komme. Die Eigentümer sind freundlich, die Nachbarn treffen sich dort, es geht familiär zu. Was früher Tante Emma-Läden waren, ist heute das nette Etablissement um die Ecke.
Bei der Heimarbeit/mobilen Arbeit hörte ich einige Tage am Stück ein auffällig lautes Surren und dachte erst, da hätte sich wohl eine Hornisse in einem Spinnennetz verfangen. Wie sich herausstellte, baute stattdessen eine harmlose Wespenart, deren Namen ich schon wieder vergessen habe, an einem Sitzsack ein paar Kokons aus Erde für ihren Nachwuchs. Das konnte ich leider nicht zulassen, verscheuchte das Tier und warf die überraschend widerstandsfähigen Kokons weg. Beeindruckend, was das kleine Tier in wenigen Tagen hat bauen können. Ich wäre nicht in der Lage, mehrere menschengroße Häuschen aus nasser Erde herzustellen, die dann auch noch so gut wie unzerstörbar sind.
Dieser Tage habe ich mein Lieblingsspiel auf der Playstation noch einmal angefangen: Red Dead Redemption 2. Es ist ein Western und ich schlüpfe in die Rolle des Cowboys Arthur Morgan. Arthur ist einer der letzten „Outlaws“, also der Menschen, die lieber in Zeltwagen und angeeigneten Holzhütten leben als in Steinhäusern in Städten. Sie klauen und schummeln, lügen und betrügen. Ich bin in dem Spiel also in der Rolle eines Bösen, und das wäre normalerweise gar nicht meins. Aber Arthur hat ein Herz und über den Spielverlauf wächst in ihm mehr und mehr die Erkenntnis, dass dieser Lebensstil nicht mehr zu ihm passt. Das Spiel hat mich so begeistert, dass ich 2022 sogar auf Videospielgeschichten darüber schrieb. Mein erster Spieldurchgang ist nun einige Jahre her und ich habe viele Inhalte der extrem guten Story wieder vergessen. Also ab aufs Pferd und losgeritten, oder genauer gesagt, erstmal die obligatorische Kneipenschlägerei gleich zu Beginn des Spiels anzetteln.
Harter Themenwechsel: Bas Jan Ader war ein Künstler, der noch vor meiner Geburt bei einer künstlerischen Aktion spurlos verschwand. Er war 33, als er in einem kleinen – ach, was sage ich – in einem winzigen Boot den Atlantik überqueren wollte. Die Nussschale wurde Monate später irgendwo angespült, von ihm fehlt seither jede Spur. Inzwischen ist das fast 50 Jahre her und mittlerweile kann wohl mit Sicherheit angenommen werden, dass er nicht mehr lebt. Ich frage mich, was Menschen dazu bewegt, solch waghalsige Dinge zu unternehmen, egal ob im Namen der Kunst oder aus Abenteuerlust. Für mich ist es schon ein Abenteuer, ins Café zu gehen, siehe oben.
Seit Anfang des Jahres lese ich wieder mehr, auch im Juli. Ich habe aktuell ein Faible für laue Sommerromane, die dahin fließen wie ein leichter Weißwein. „Das Summen unter der Haut“ von Stephan Lohse oder „Der große Sommer“ von Ewald Arenz gefielen mir gut. Auf eine Empfehlung des Kaffeehaussitzers hin habe ich „Der Schatten des Windes“ von Carlos Ruiz Zafón gelesen, was nun alles andere als ein gemütlicher Sommerroman ist. Die Geschichte ist düster, es geht um Krieg, Verlust und trotzdem auch um Bücher und ein winziges Bisschen Fantasy. Welchem Genre ich dieses Buch zuordnen würde, kann ich auch nach Ende des Buches nicht sagen, nicht einmal, weshalb es mich gefesselt hat und ich mir wohl die nachfolgenden Bücher auch eines Tages zulegen werde. Aber: vielleicht muss ich das auch gar nicht sagen können. Hauptsache ist doch, dass es gefällt. Noch so ein Buch, das Fragezeichen hinterlässt, ist „Drachenläufer“ von Khaled Hosseini. Ich bekam es vor ewigen Zeiten geschenkt, hätte es mir nie selbst gekauft und muss doch sagen, dass es mich beeindruckt hat. Das Buch zieht sich über fast ein ganzes Menschenleben und erzählt von Freundschaft, Verrat, Selbstbewusstsein, Familie, Liebe und das Auswandern. Hartert Tobak. Interessant, wie man den eigenen Geschmack neu entdecken kann.
Hörbücher hörte ich auch eine Menge. Unter anderem tat ich mir „Per Anhalter durch die Galaxis“ nochmal an. Ein Klassiker, mögen manche sagen, und ich habe das Buch auch gelesen, das Hörbuch ein paar Mal gehört und auch den (wirklich schlechten) Film gesehen. Weshalb ich immer wieder dorthin zurückkehre, kann ich nicht sagen, denn das Buch ist fürchterlich verwirrend. Mit Absicht, wage ich zu sagen. Im Grunde wie alle Scheibenwelt-Bücher. Darauf einen Pangalaktischen Donnergurgler!
Abgesehen davon bin ich froh, dass es in den letzten Wochen so viel geregnet hat, und selbst wenn ich mit der Ansicht recht alleine dastehe: von mir aus könnte es so nahtlos in den Herbst übergehen. 30 Grad oder mehr brauche ich nicht und die Natur schon gar nicht.
Zum Abschluss noch ein Traumbericht. Meist kann ich mich an Träume nicht erinnern, aber dieser hier war so bescheuert, dass ich ihn morgens im Halbschlaf schnell notierte:
Ich habe geträumt, ich würde allein von einer Stadt in die andere fliegen. Ich habe das länger nicht gemacht und als ich einen kleinen Eimer in die Hand gedrückt bekam, mit dem ich meinen Anteil des Kerosins tragen sollte, war ich doch einigermaßen verwirrt. Aber alle Passagiere, die auf dem Gelände herumliefen, hatten ihre Eimerchen in der Hand.
Zudem hatte ich ein Gespräch mit jemandem im Ohr, der sagte, das sei heutzutage ja ganz normal. Mein Einwand, ich fände das wenig effizient („wieso kaufen die zwei Millionen Eimerchen und nicht lieber einen vernünftigen Tankwagen?“) tat er lächelnd ab, der Gedanke war wohl falsch. Dafür, dass ich falsch lag, sprach auch die Tatsache, dass ich da nun mal mit meinem Eimerchen stand.
Die Wartezeit durften wir Passagiere uns mit der Besichtigung irgendeines kleinen Berges auf dem Gelände vertreiben. Ich ging gerade vorsichtig einen sehr steilen und mit Holz ausgelegten, schmalen Steig wieder hinab, als mir auffiel, dass der Steig über und über mit heller Farbe getränkt war.
Gerade als ich mich fragte, woher die wohl kommen würde, stellte ich fest, dass sich in meinem kleinen Kerosineimerchen ebenfalls helle Farbe befand, die bei der Besichtigung des Berges bereits zum Teil auf den Boden geschwappt war. Mir fiel auf, dass keiner der Eimer einen Deckel hatte und ich fragte mich einmal mehr, warum diese Ineffizienz in Sachen Farbe/Kerosin toleriert würde, ganz zu schweigen von der Umweltverschmutzung.
Dann war es soweit, wir sollten einsteigen. Das Flugzeug rangierte auf dem Rollfeld in irren Bahnen umher und einige Passagiere rannten hinterher. Ich schaute auf einen Rangierplan und erkannte, dass es lediglich eine günstige Position einnehmen und bald wieder hier ankommen würde, wartete also mit den meisten anderen einfach vor Ort.
Dann sollten wir unser Eimerchen in den Tank leeren, ich war zuerst dran. Ich kippte die noch übrige Flüssigkeit in die Tanköffnung – vom mehr oder weniger gut gefüllten Eimer war nunmehr nur noch die Hälfte übrig. Ich stellte allerdings fest, dass ich plötzlich nur noch Wasser im Eimer hatte, keine Farbe mehr, schüttete es aber wie gewünscht in die Tanköffnung. Der Passagier nach mir kippte seine Farbe in den Tank und sah mir verwundert nach, ich tat so, als hätte ich von alldem nichts bemerkt. (Offenbar kennt mein Gehirn die Farbe von Kerosin nicht, deshalb musste es sich etwas anderes ausdenken, oder?)
Im Flugzeug war es schrecklich eng und die Decke war niedrig. Ich stand gebückt in einem Gang und zückte mein winziges Flugticket, eher nur ein Streifen Papier wie in den 80ern im Kino, und suchte meine Platznummer. Zufällig stand ich schon richtig, stellte aber fest, dass mein Platz schon besetzt war. Ich überprüfte Reihe und Platznummer noch zwei Mal, kam aber zum gleichen Ergebnis.
Also sprach ich das Kind an, das auf meinem Platz saß, und es zeigte mir das eigene Ticket. Zusammen mit seiner Sitznachbarin – es war eine etwas gelangweilte Angela Merkel – stellten wir fest, dass das Kind falsch saß und erst auf dem Rückflug diese Sitzplatznummer hatte.
Dann wachte ich auf.
Schön geschrieben, gerne mehr.
Danke! Im September dann 🙂
Wann immer du magst. Gibt ja keine Zeitvorgabe wann man bloggen muss.
Ein sehr schöner Tagebuchblogartikel! Gerne mehr davon!
Du musst ja nicht gleich täglich bloggen usw. Da findet jeder seinen Rhythmus … oder ändert ihn einfach.
Es macht auf jeden Fall große Freude, den Artikel zu lesen!
Danke dir! Mir hat das Schreiben auch Spaß gemacht. Ich finde, er ist ziemlich lang geworden, aber ich habe auch nicht alle erwähnten Bücher im Juli gelesen 😉 Mal gucken wie sich das jetzt einpendelt.
Oh wie schön! Freut mich und sehr gern gelesen.
Apropos Lesen: „Der Schatten des Windes“ und „Drachenläufer“ sind tolle Bücher. Ich mochte vor allem die Sprache, auch wenn sie vom Inhalt keine leicht verdauliche Kost waren. Da stimme ich Dir voll zu. „Das Spiel des Engels“ (Carlos Ruiz Zafón) wird Dir dann sicher auch gefallen.
Ich lese gerade mit sehr viel Freude alle Jane Austen Romane. Wirklich spannend, was ich beim wiederholten Lesen entdecke. Sehr aufschlussreich auch “The Confession of Fitzwilliam Darcy”, in dem Mary Street die Geschichte aus „Pride and Prejudice“ aus der Sicht Fitzwilliams erzählt. Sehr feiner Humor und exzellent, wie sie Original-Zitate (vor allem Dialoge) in ihre Fassung verwebt.
Das trifft es gut! Bei beiden Büchern dachte ich zwischendurch, „ist das wirklich meins?“, aber dann wollte ich doch wissen, wie sie weitergehen und bin froh, dran geblieben zu sein. Und das, obwohl ich gerade beim „Drachenläufer“ nicht einmal behaupten würde, dass es ein gutes Ende nimmt. Danke für die Buchempfehlungen, die schaue ich mir an!