Die Welt füllt sich mit Bildschirmen.
Kinder meiner Generation wuchsen noch draußen auf, auf den Pflaumenbäumen des Bauern, im Schlamm der Baustelle bei den Nachbarn und auf dem Feld beim Drachensteigen. Es gab den Fernseher, ja, aber ihn zu lange am Stück zu benutzen galt als ungesund und war ohnehin nicht üblich.
Irgendwann tauchte dann der erste Computerbildschirm auf, irgendwo, in einem fancy IT-Unternehmen oder in einem neumodischen Museum. Dann stand plötzlich ein Computer bei uns im Haus und damit begann das Übel. Aus einem wurden zwei, aus zwei wurde ein Netzwerk und das Netzwerk lud zu Warcraft-Sessions ein. Mit Malzbier.
Dann war eine ganze Weile Stillstand. Bis ein sehr kleiner Bildschirm ans Licht kam: der eines Pagers. Ich bekam ein Quix. Obwohl ich das Gerät einige Jahre mit mir herum trug, empfing ich nur zwei echte Nachrichten. Eine war eine Liebesbotschaft meiner damaligen Freundin und eine die Bitte meiner Eltern, ich sollte auf dem Nachhauseweg noch Butter mitbringen – kein Scherz.
Die Vorzüge des Quix ebneten den Weg für das erste Mobiltelefon. Meines war eins der neusten Generation: Es hatte schon ein Zwei-Zeilen-Display plus (!) eine Symbolleiste. Der Computer übrigens wurde zum Standard und anfangs ab und zu, später in immer kürzeren Abständen durch das jeweils neuere Modell ausgetauscht.
Und all diese Geräte hatten Bildschirme. Kleine, große, flimmernde. Farbbildschirme, schwarz-weiß oder auch schwarz-grün.
Und heute? In meiner Wohnung gibt es – von den Stereo-Anlagen-Displays und denen digitaler Uhren etc. abgesehen – ganze fünfzehn Bildschirme. Eine unvorstellbare Anzahl. Mein Computer hat zwei, weil ich im Büro auch zwei habe und Gewöhnung alles ist. In dieser Wohnung stehen mehrere Laptops, die meisten ungebraucht, es liegen überall Mobiltelefone herum und ab und zu auch ein Tablet.
Meine Eltern sagten früher, ich solle nicht so viel fern sehen, weil ich dann eckige Augen bekäme. Sie wollten mir nie weismachen, dass das wirklich so sei, aber die Message kam an. Und heute? Bei einem zehn Meter langen Weg zwischen Auto und Tiefgaragentür schaue ich aufs Handydisplay. Beim Fernsehen läuft manchmal der Laptop und ab und zu auf einem anderen Bildschirm ein Twitter-Feed.
Es gilt mittlerweile als Entspannung, sich nur einem Bildschirm zu widmen. Früher war es im Gegensatz dazu etwas besonderes, sich für einen Abend mal einem Bildschirm zu widmen statt etwas zu lesen, zu spielen oder zu basteln.
Da wir Menschen Gewohnheitstiere sind, sind wir jetzt daran gewöhnt, uns berieseln lassen zu können, wann und wo wir wollen. Auf der einen Seite verfluchen wir (ich) diese Möglichkeit. Auf der anderen Seite… wenn sofort alle Bildschirme hier ausfielen, ich wüsste gar nicht, wie ich an die Wettervorhersage für morgen käme.
Die allgemeine Apphängigkeit ist allgegenwärtig, man muss sich nur in der Bahn oder an der Haltestelle umschauen: mindestens 80 % der anwesenden schauen auf ihr Ding, nur noch wenige beherrschen die Kunst, einfach nur nichts zu tun, und sei es nur für wenige Minuten. Am meisten stört mich aber, wenn mein Gegenüber mitten im Gespräch sein Teil zückt und drauf schaut oder gar etwas „postet“. Schöne neue Welt.
Das ist wahr. Und was ist mit dir? Schaust du auch auf einen Bildschirm? Und wenn ja, weil es alle tun, was ich nicht glaube, oder weil du dem auch erlegen bist? Oder tust du tatsächlich nichts? (Ich habe für deinen Kommentar und diese Antwort übrigens extra alles andere abgeschaltet. Es hätte sich sonst so falsch angefühlt.)
Dazu hat es neulich sogar eine Studie gegeben: Nichtstun sei für den Menschen unangenehm. Und da kämen Smartphones gerade recht, denn die seien nicht die Ursache für das Anti-Nichtstun, sondern lediglich ein Symptom. „Der ungeschulte Geist ist nicht gern allein.“
http://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article129779581/Selbst-Elektroschocks-sind-schoener-als-Nichtstun.html
Nur fragt man sich ja doch, zu welchem Ergebnis die Studie gekommen wäre, wenn sie vor zwanzig Jahren stattgefunden hätte. „Leute gucken“ als Anti-Nichtstun vielleicht…