Kalt

Mir ist kalt.

Seit du weg bist, ist mir so gut wie immer kalt.

Und wenn mir nicht kalt ist, dann ist mir heiß. Vielleicht will mein Körper dich ausschwitzen oder erfrieren.

Beides funktioniert nicht.

Heute war ein beschissener Tag. Schlimmer noch als all die letzten Tage und Wochen seit du weg gegangen bist. Ich glaube, ich war noch nie in meinem Leben so allein. Die mitfühlenden Worte von Freunden und meiner Familie, sie verblassen schon auf dem Weg zu mir. Sobald sie mich erreichen, werden sie ganz klein und grau, als würden sie sich vor mir verstecken, weil sie wissen, dass sie nichts bringen. Dass sie nicht genug sind.

Nichts ist genug. Nur du, du wärst genug, du wärst genau richtig. Aber du willst nicht. Mich nicht. Unser Leben nicht.

Hatten wir überhaupt ein gemeinsames Leben? Wenigstens einige Teile. Dachte ich. Bis du gegangen bist. Ohne große Worte. Es würde nicht gehen, es läge an dir und all das übliche Blabla, vielleicht hast du es sogar aus einer Soap abgeschrieben. Ich könnte kotzen, wenn ich daran denke.

Es plätschert. Ich sitze mit ausgestreckten Beinen in der Badewanne und warte, dass es wärmer wird. Das Wasser scheint heute besonders langsam aus dem Hahn zu kommen. Mit der Ferse drücke ich den Gummiverschluss am Boden der Wanne etwas fester. Die Idee mit dem Bad war bescheuert, aber jetzt sitze ich hier.

Ich starre an die Wand über dem Wasserhahn und denke an dich. Wenn ich nur verstehen könnte, was sich zwischen uns geändert hat. Wenn ich doch nur einen Anhaltspunkt hätte für deine Entscheidung gegen uns. Vielleicht hast du dich neu verliebt. Aber das mit uns war doch noch so jung. Wer weiß.

Eine Weile sehe ich dem Wasser zu, wie es langsam am Badewannenrand empor kriecht. Es bilden sich hier und da kleine Schaumberge, die erst langsam über meine Oberschenkel wandern und dann an meinen Füßen empor steigen, bis auch sie ganz im schaumigen Wasser verschwunden sind. Der CD-Player im Badezimmer spielt Entspannungsmusik, aber sie ist mir eigentlich zu traurig. Ich komme nicht an das Gerät und bin zu faul, aufzustehen und mich wieder abzutrocknen, also bleibt es dabei.

Die atmosphärische Musik lässt mich wieder in Gedanken versinken. Wir treffen uns zum ersten Mal. Ich habe mich sofort in dich verguckt. Wie du mich angelächelt hast mit deinem breiten Mund und den leuchtenden Augen. Später hast du mir erzählt, wie nervös du in dem Moment warst. Wir mussten lachen, weil ich davon überhaupt nichts mitbekommen habe. Ich meinte, ich hätte an dem Tag ohnehin nicht viel von der Welt um mich herum mitbekommen. Ich war hin und weg. Du auch, hast du gesagt. Du auch.

Unbewusst habe ich die Beine angewinkelt und sie mit den Armen umschlungen. Jetzt sieht die Badewanne leer aus. Dort drüben hast du manchmal gesessen. Wir haben uns gegenseitig von unserem Tag berichtet und Geschichten erzählt. Einmal hast du dir für mich ein ganzes Märchen ausgedacht. Wir mussten drei Mal heißes Wasser nachfüllen und unsere Finger waren noch am nächsten Morgen schrumpelig. Ich glaube, ich habe mich noch nie in jemanden mehr verliebt als in dich.

Wie konntest du nur gehen? Wir hatten so viele Pläne, so viele Ideen. Das kann doch nicht einfach zu Ende sein. Die Wanne ist mittlerweile voll und ich drehe das Wasser ab. Auf dem Badewannenrand stehen einige Teelichter, aber sie sehen nicht schön aus. Ich recke mich zum Lichtschalter hoch und komme an ihn ran, ohne aufzustehen. Jetzt sitze ich im Schein der flackernden Kerzen allein in meiner Hälfte der Badewanne und höre traurige Entspannungsmusik. Was habe ich mir dabei nur gedacht?

Ich lasse den Kopf auf meine Knie sinken und denke wieder an dich. So eine Situation wie jetzt – ich hatte wirklich gedacht, dass mir das nie wieder passieren würde. Nicht, nachdem ich dich gefunden hatte. Nicht, nachdem wir so gut begonnen hatten. Der Badezusatz riecht süßlich-herb. Ich finde ihn ekelhaft, so wie alles in diesen Tagen. Unser Sex war atemberaubend. Manchmal sogar wortwörtlich. Es gab Tage, an denen wir nicht voneinander lassen konnten. Wir befummelten uns im Supermarkt und in der Straßenbahn, fielen richtiggehend über einander her, sobald wir in der Wohnung angekommen waren. Ich fange an, langsam meine nassen Knie zu küssen. Keine Stellung haben wir ausgelassen, du warst sehr kreativ, was das angeht. Einmal, beim ersten Besuch bei deinen Eltern… ich merke, wie ich geil werde. Ein ebenso absurdes wie trauriges Gefühl, aber trotzdem geil.

Was soll’s. Ich beginne zu onanieren, hart und grob, mit schnellen Bewegungen. Danach – mein Sperma breitet sich im heißen Wasser aus – starre ich schwer atmend an die Decke. Es ist beschämend. Hier liege ich, allein, denke an dich und hole mir einen runter, während du wahrscheinlich schon wieder in den nächsten Kerl verknallt bist. So kann das doch nicht weiter gehen.

Einer inneren Entscheidung folgend springe ich plötzlich auf, so schnell, dass mir erst einmal schwindelig wird. Ich schalte das Licht an, puste die Teelichter aus und ziehe den Badewannenstöpsel. Während das Wasser in den Abfluss rauscht, beschließe ich, dass dies der letzte Orgasmus gewesen sein soll, den ich für dich vergeudet habe. Ich schaue an mir herunter und sehe den Wassertropfen nach, die von meinen Haaren und Händen herunter fallen. Gott, ich weiß nicht, wie ich das durchstehen soll.

Ich drehe das Wasser auf und genieße den kühlen Strahl auf meinem Körper. Die Dusche tut gut und ich fasse neuen Mut. Mit Seife spüle ich die letzten Spermareste von meiner Haut und fühle mich das erste Mal an diesem Tag nicht erschöpft und ausgebrannt. Vielleicht war die Idee mit dem Vollbad doch gar nicht so schlecht. Ich überlege, was ich morgen nach der Arbeit als erstes tun werde, um dich los zu werden: Zuerst durchkämme ich meine Wohnung nach Dingen von dir und werfe alles weg, was mich an dich erinnert. Danach schreibe ich dir einen wütenden Abschiedsbrief, in den ich all meine Enttäuschung packe und werde ihn danach auf dem Balkon verbrennen. Schlussendlich lösche ich deine Kontaktdaten aus meinem Handy und werde mich betrinken. Morgen ist Freitag, also dürfen es auch ein paar Gläser Wein zu viel sein.

Zufrieden mit meinem Plan drehe ich das Wasser ab und ziehe den Duschvorhang beiseite. Als ich nach dem Handtuch greife und mir die Haare abtrocknen möchte, atme ich ein und das Handtuch riecht nach dir. Mit einem Mal überfallen mich ein Dutzend Situationen. Ein Spaziergang am Fluss. Wie wir ein ganzes Wochenende im Bett verbracht haben. Dein Lachen. Die Wärme deines Körpers. Der Liebesbrief, den du mir geschickt hast. Deine Niedergeschlagenheit, als du vom Tod deiner Tante erfuhrst und die Dankbarkeit in deinen Augen, dass ich für dich da war. Meine Hand in deinen Haaren. Dein Klamottenstil. Die letzte Party. Wie ich dich zu mir nach Hause mitnahm, weil du nicht mehr gerade laufen konntest. Die letzte Umarmung am Tag als du gingst. Und dein Geruch.

Schwere Tränen fließen in das Handtuch, ich fange an zu zittern und muss mich in die feuchte Dusche setzen. Es geht einfach nicht.

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