Musik

Meine erste richtige Erinnerung an Musik? Ich stellte damals ein Mikrofon vor einen Lautsprecher und nahm Radiomusik auf eine Kassette auf. Das Mikrofonkabel war schlecht angebracht, also durfte man das Mikrofon nicht bewegen, sonst gab es Knackgeräusche in der Aufnahme. Trotzdem machte ich zwischendurch Moderationen und plapperte über den Tag, was wir gegessen hatten und sonstige Dinge, die einen später nicht mehr interessieren. Die Kassetten beschriftete ich sorgfältig. Und wehe, jemand kam ins Zimmer und sprach mitten in die Aufnahme! Wer weiß, wann das Lied wieder mal im Radio gespielt werden würde!

Manchmal vergaß ich vor lauter Musikgenuss auch, die Aufnahme wieder zu beenden. Daher weiß ich bis heute, dass im Schwimmbad der Stadt Schweich seinerzeit eine Chlorgaswolke entwichen ist und die Anwohner Türen und Fenster geschlossen halten sollten. Man würde berichten, wenn die Gefahr vorüber sei. Die Entwarnung habe ich nie gehört, aber das Problem sollte mittlerweile behoben worden sein.

Schallplatten gehören auch zu meinen ersten Erinnerungen. Wir hörten Hippie-Musik unserer Elterngeneration, Klassik, lustige deutsche Musik und „Peter und der Wolf“. Irgendwann besaß ich auch selbst mal einen Plattenspieler und sammelte einige der Schallplatten in meinem Zimmer – aber ich kaufte nie selbst welche.

Mr. Vain von Culture Beat war dann meine erste CD. Ich lief mit meinem Vater durch einen Musikladen und wollte unbedingt dieses Lied haben, wusste den Titel aber nicht. Auf die Frage, was denn da gesungen würde, konnte ich nicht viel antworten, außer „irgendwas mit Mister Vain oder so“. Da hielt mir ein aufmerksamer Verkäufer plötzlich die CD vor die Nase. Ich war selig. In meinem neuen CD-Abspielgerät hörte ich die Lieder der Single so oft, dass ich sogar davon träumte. Da war ich gerade einmal elf Jahre alt.

Durch meine komplette Jugend zog sich die Musik dann wie ein roter Faden. Ich sollte auch auch selbst welche machen – Gitarre, E-Gitarre, Keyboard und Klavier habe ich versucht, kann bis heute aber keine Noten lesen und beherrsche keines der Instrumente auch nur ansatzweise. Stattdessen dudelte in jeder freien Minute in meinem Zimmer irgendwelche Musik. Radio fand ich schon immer doof und war lieber mein eigener DJ. So wurden die CD-Sammlungen mehr, die aufgenommen Kassetten, später Mini-Discs und dann MP3s häuften sich an. Ich verbrachte gerne Zeit in meinem Kinderzimmer, lauschte Musik oder auch mal Hörbüchern und beschäftigte mich mit irgendwas.

Dann bekam ich meinen ersten Walkman geschenkt. Ein neueres Modell des Klassikers von Sony. Unter der Auflage, ihn niemals auf dem Fahrrad zu benutzen. Ich hielt mich daran und verbrauchte nun unterwegs Batterien um Batterien. Selbst wenn ich mal aus Versehen nur eine Kassette dabei hatte – dann wurde die halt immer wieder von vorne gehört.

In einem Urlaub auf Kreta hatte ich gerade zwei neue Lieblingslieder und schaffte es einen ganzen Tag lang, mit zwei wechselnden Ohrwürmern zu verbringen. Wir besichtigten Dinge, liefen durch Straßen – was man als Jugendlicher im Urlaub eben so macht. Immer, wenn das eine Lied anfing zu nerven, wechselte ich zum anderen. Das habe ich seither nie wieder hinbekommen.

Bei der elektronischen Musik blieb ich mehrheitlich, ich mochte sie langsam und schnell, laut und leise. Hauptsache, es gab eine schöne Melodie, die mich zum Träumen bringen konnte. Ich malte mir dann manchmal aus, ein Superheld zu sein bei dem, was mich im wirklichen Leben gerade beschäftigte. Ich konnte fliegen, hatte telepathische Kräfte und wusste Feuerwerk an den Himmel zu zaubern.

Jahre später bekam ich die Chance, von Bekannten eine Musikanlage in mein damals nagelneues Auto eingebaut zu bekommen. Ich kaufte die Teile – einen Verstärker, viele dicke Kabel und einen sehr großen Basslautsprecher – und sie verbauten das Zeug im Auto. Fortan war die Kiste eine fahrende Disco. Man konnte den Bass so laut aufdrehen, dass man jedes einzelne Haar auf dem Kopf vibrieren und den Druck im Brustkorb fühlen konnte.

Ich brannte ein Dutzend CDs und hatte so auf der Straße für jede Stimmung etwas parat. Besser noch: Mit der ohrenbetäubenden Musik konnte ich mich in andere Welten versetzen. Aggressionen ab- und Freude aufbauen, Trauer ausleben. Wie häufig habe ich am Steuer geheult, nur um dann beim nächsten Lied laut mit zu singen. Die wahllos zusammengestellten Lieder auf den CDs ließen mich alle möglichen Emotionen durchleben.

Im Sommer drehten wir die Musik rauf und die Fenster runter, ließen uns auf der Autobahn die Freiheit um die Nase wehen und jubelten gemeinsam mit den Interpreten der angesagten Lieder um die Wette. Am meisten genoss ich aber die Fahrten alleine. Da konnte ich sein, wie ich gerade wollte.

Die fahrende Disco gibt es mittlerweile nicht mehr. Laute Musik höre ich immer noch gerne, aber nun eher mit Kopfhörern. Vielleicht lasse ich mir irgendwann wieder einmal eine Anlage ins Auto einbauen – ich vermisse das ein bisschen.

Die permanente Suche nach Musik, die mir etwas gibt, mir einen kleinen, eskapistischen Moment oder eine Gänsehaut verschafft, die existiert immer noch. Das wird vermutlich auch immer so bleiben.


Titelfoto: Hello I’m Nik/Unsplash.com

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