Mensch, Magier, Erwecker der Toten, Krieger oder Elf – was darf es sein?
In Rollenspielen kann man sich aussuchen, wer man sein möchte – und sich dann für einige Zeit gänzlich von der Wirklichkeit verabschieden.
Rollenspiele gibt es in vielen verschiedenen Varianten, zum Beispiel als Papier-Stift-Version oder als einfache Frage-Antwort-Eingabe am Computer. Die wohl gesündeste Version sind Spiele in der Natur wie auf dem Foto unten. In der letzten Zeit sind aber Online-Rollenspiele sehr bekannt geworden, berühmt-berüchtigt möchte man fast sagen. Dabei wird den Spielern eine zufällige oder vorher festgelegte Welt eröffnet, die alles enthält: Städte, Seen, Berge, Schnee, Dünen, Tiere, Pflanzen und natürlich eine nie enden wollende Schar an Gegnern!
Die Hersteller dieser bild- und tongewaltigen Softwares verdienen sich goldene Villas an den Spielern, die bereitwillig zum Teil auch monatliche Zahlungen in Kauf nehmen, um ständig in neuen Welten und Aufgaben (= Quests) herausgefordert zu werden. Gespielt werden kann allein oder in der Gruppe. Gerade diese Multiplayer-Events binden die Spieler dabei ungeheuer lange an den Bildschirm. Stichwort: MMORPG, das bedeutet massive multiplayer online role playing game.
In Multiplayer-Spielen verabredet sich zum Beispiel eine Gruppe von Spielern für einen festen Termin, um einen Quest zu erledigen, für den der Einzelne zu schwach ist. Hier ist dann Teamarbeit gefragt. Und wer nicht zum richtigen Zeitpunkt online ist, gefährdet den Sieg der gesamten Truppe!
Zuerst bestimmte also der Spieler das Spiel: Kein Papier und kein Stift = kein Spiel. Auch musste man sich für Gruppenspiele immer physisch treffen. Dann kam das Internet und alles wurde anders: Die Leute mussten ihren Hintern nicht mehr vor die Tür bringen sondern konnten vor den Bildschirmen sitzen bleiben. Und als letzte Instanz sorgten die zur Zeit aktuellen Rollenspiele dafür, dass bestimmte, feste Zeitpunkte im realen Leben für’s Spielen vorgesehen wurden. »Donnerstags habe ich immer einen RAID [also ein Gruppen-Event], da kann ich abends nicht weggehen.« Das habe ich im Original so gehört.
Und was macht den Reiz dieser Spiele aus?
Das ist offensichtlich: Software an, Leben aus. In Rollenspielen ist man jemand anderes, ist erfolgreich, stark, würdevoll, mächtig und kann zaubern, stirbt auch mal, wird aber einfach wiedergeboren und versucht es noch einmal. Das Leben im Onlinespiel ist ein völlig anderes.
Vor zehn Jahren ging das Spiel Second Life online. Der Sinn steht im Namen – hier geht es nicht um das Abschließen von Quests sondern um das Aufbauen eines zweiten Lebens. Geschichten von Eltern, die aus Versehen ihre Kinder verhungern ließen, sind bis heute gern erzählte Party-Geschichten ohne ergoogelbare Grundlage.
Dass Online-Rollenspiele in der Öffentlichkeit nicht so gut weg kommen, ist angesichts des mitunter problematischen Zeitbedarfs kein Wunder. Meines Empfindens nach wird dabei aber gerne verschwiegen, dass das systematische Ausschalten des echten Lebens auch seine guten Seiten haben kann!
Beim Fernsehen geschieht nämlich genau das Gleiche: Der Konsument begibt sich in eine andere Welt. Da die Fernsehlandschaft zunehmend weniger her gibt – dies ist natürlich eine höchst objektive und statistisch völlig belegbare Beobachtung – und man beim Computerspiel auch noch selbst die Handlung mitbestimmen kann, ist der Weg vom einen zum anderen Bildschirm ein äußerst kurzer.
Sich für ein paar Stunden vom realen Leben zu verabschieden und stattdessen das Böse bekämpfend durch die Lande zu wehen ist eine echte Alternative. In Maßen!
Übrigens: Wer sich noch nie in eine andere Welt geträumt hat, der werfe den ersten Stein! Alle Schlechtmacher sind doch nur neidisch…