Wie Messenger unser Leben verändern

Dieser Tage habe ich über Messenger und Kurznachrichten nachgedacht. Wir können jederzeit und von nahezu überall Textnachrichten schicken (und lustige Videos natürlich auch). Für die meisten Menschen in meinem Umfeld ist das ganz normal, ich kenne nur sehr wenige, die das nicht nutzen. Dabei ist diese Technik noch gar nicht so alt.

Ich weiß noch: Mein erstes Mobiltelefon hatte einen Prepaid-Tarif und konnte in den ersten Tagen noch keine SMS schicken – die wurden in diesem Bezahlmodell erst eingeführt. Meine erste Kurznachricht ging an mich selbst, für 39 Pfennig, glaube ich. Wenige Jahre später saß ich im Schulbus und tippte ohne hinzuschauen auf dem Gerät herum, mit der neuen T9-Schreibfunktion auch immer schneller. Gerade erst von den Klassenkameradinnnen verabschiedet, mussten wir natürlich den neuesten Tratsch austauschen.

Im Bus, in Freistunden, auf dem Weg zu einem Treffen – ich hatte immer die Möglichkeit, Freunde zu erreichen. Teuer war das, klar, aber dafür steckte die Technik in meiner Hosentasche. Alle Alternativen, also der Computer mit Internet, das Telefon und – ja wirklich – zu Beginn dieser Phase sogar das Fax, waren an ihre jeweiligen Orte gebunden. Wir schrieben uns Blödsinn, tauschten uns über andere in der Klasse aus, verabredeten uns und lernten, uns kurz zu fassen: jedes überzählige Zeichen konnte Kosten für eine weitere SMS bedeuten. Die HDGDL-Zeit war angebrochen.

Zu Hause blieb das Mittel der Wahl immer das Internet – Zugang dazu boten ausschließlich Computer. Auch hier gab es mit der Zeit viele verschiedene Messenger für einen Zweierchat oder auch globale Chaträume. Man traf sich regelmäßig online, sprach mit Wildfremden, tauschte sich aus. Ich bemerkte ein wachsendes Interesse meiner Eltern an diesen anonymen Chats. Aber: Von heute aus betrachtet war das wohl der Moment, an dem sie entschieden, dass diese neue Technik nichts mehr für sie war. Mir selbst ging das übrigens so, als Snapchat aufkam, und dann nochmal bei Clubhouse. Beides interessiert mich einfach nicht.

Es blieb längere Zeit bei Chats auf dem PC und bei SMS unterwegs. Dann kam eines Tages das erste Smartphone, WhatsApp betrat die Bühne und machte die altmodische SMS obsolet. Der Schritt zur permanenten Onlinenutzung war dann nur noch ganz klein, aber er veränderte viel: Das Gefühl der Freiheit war noch da, aber in der Zeit war es schon ganz normal, sich ständig Nachrichten senden zu können. Soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und StudiVZ kamen mit eigenen Nachrichten daher und damit begann nun das Ringen um die Aufmerksamkeit der User.

Spätestens hier erreichte das Ganze einen Kipppunkt: Zuerst waren die sozialen Netzwerke und Messenger Produkte gewesen, die sich an die User richteten. Nun drehte der Markt sich um und die User wurden selbst zum Produkt. Seither sind Daten eine Währung.

Die ständige Erreichbarkeit kann zudem zur Belastung werden. Wenn Benachrichtigungen warten, wenn die „ungelesen“-Zahlen an den Apps immer weiter steigen, dann kann einen das unter Druck setzen.

Das damalige Gefühl der Freiheit ist damit nun verschwunden. Es ist normal geworden, manchmal sogar herausfordernd. Während wir früher einfach den Computer nicht einschalteten, können wir heute das Smartphone fast nicht mehr ausgeschaltet lassen. Denn das bedeutet gegebenenfalls auch, auf Musik, Beleuchtung in der Wohnung und den Lieferdienst zu verzichten. Inzwischen ist eine neue Ära mit Fragen nach Moral und Datenschutz angebrochen.

Das Klönen, das Schreiben von unterwegs und das Witzeln, das ist allerdings geblieben. Bei mir zumindest. Mit einigen wenigen Menschen schreibe ich täglich, über alles und nichts. Und ich mag das. Wir reden über das Wetter, Stofftiere, Filme, Politik und die Arbeit, unser Leben.

Die meisten dieser Menschen kenne ich persönlich, manche nicht. Einer dieser Leute kommt aus Brasilien und wir trafen uns neulich in meiner Stadt, als er mal zu Besuch war. Das wäre früher mit der damaligen Technik nicht möglich gewesen. Wir hätten uns schlicht nie kennengelernt. Und dann noch die Kosten für ein Telefonat nach Brasilien, nicht auszudenken!

WMDEDGT – 5. November 2023

Unter „Was machst du eigentlich den ganzen Tag“, kurz #wmdedgt, versammeln sich die Tagebuchbloggenden an jedem 5. eines Monats und berichten vom Tag. Initiiert wurde das von Frau Brüllen.

Es ist ein langsamer Morgen. Die moderne Technik bestätigt mein Gefühl eines guten Schlafs. Ich scrolle im Bett durch die Timeline und schaue nach einem dortigen Hinweis seit langer Zeit mal wieder die Sendung mit der Maus. Ich lerne, wie Fahrradhelme hergestellt werden, anschließend verschrottet die Maus ihr kaputtes Auto und steigt aufs Rad um. I see what you did there, ARD. Außerdem wird gezeigt, wie ein sehr genervter Junge von seiner ebenfalls genervten Mutter gegen Läuse behandelt wird.

Beim Frühstück gibt es Kaki. Für mich bedeuten sie immer Winterauszeit auf Teneriffa, denn dort sind sie größer, frischer, günstiger und im Urlaub schmeckt sowieso alles besser. Aber wo wachsen die Dinger eigentlich? Wikipedia lehrt:

In China wird der Kakibaum seit Menschengedenken kultiviert, ihm werden vier Tugenden zugeschrieben: Er ist langlebig, schattenspendend, wird von den Vögeln als Nistplatz genutzt und nicht von Schädlingen befallen. Ein mit einer Vase, einem Kiefernzweig und einer Orange geschmückter Kakikuchen gilt als Symbol für den Wunsch „Großes Glück in 100 Angelegenheiten“.

In einer Tabelle sehe ich dann auch, dass China über 80 Prozent aller Kakis anbaut, so viel also zu meinem Eindruck des spanischen Urlaubsobsts. Aber Kakikuchen klingt nachschlagenswert. Glück in hundert Angelegenheiten nähme ich natürlich auch mit.

Der Tag geht faul weiter. Ich schaue „Der Buchladen der Florence Green“ auf ARTE und meine, den zugrunde liegenden Roman „Die Buchhandlung“ von Penelope Fitzgerald irgendwann gelesen zu haben, mir kamen jedenfalls einige Teile des Films seltsam vertraut vor. Anschließend wird mir die heute-show vom vergangenen Freitag vorgeschlagen, und während die läuft, trippelt der Regen an die Fenster. Das ist alles ziemlich gemütlich.

In einem internationalen Chat unterhalten sich einige der Mitglieder über ihre vermuteten Depressionen. Ich gebe einen Link zum Selbsttest der Deutschen Depressionshilfe weiter, der mit wenigen Fragen zu den eigenen Gefühlen eine unverbindliche Erstdiagnose anbietet. Die Testergebnisse werden herum geschickt und während ich empfehle, die darin beschriebenen Handlungsvorschläge zu beherzigen, hoffe ich, dass das in den entsprechenden Ländern auf fremden Kontinenten überhaupt so möglich ist. Ich drücke den Leuten die Daumen, dass sie wenigstens passende Medikamente verschrieben bekommen können.

Zum Kaffee gibt es Apfel-Pudding-Teilchen vom gestrigen Bäckereibesuch und es kommt schon wieder eine Frage auf, für die ich die Wikipedia bemühen muss: Kommt die French Press-Kaffeezubereitungsmethode aus Frankreich, wie der Name vermuten lässt? Antwort: Die Pressstempelkanne wurde „vermutlich um 1850 in Frankreich erfunden“, allerdings später von Italienern patentiert. Weshalb sie nicht „Italian Press“ heißt, wird im Artikel nicht beantwortet, aber es ist löblich, dass ihr Ursprung im Namen verblieben ist.

Später dann doch noch etwas Fleiß: Wir spielen in der Badewanne Frisör, eine gute Tradition, die aus der Corona-Pandemie geblieben ist, ich berichtete. Anschließend nutze ich das Momentum des Klamottenwechsels und mache einen kleinen Spaziergang in der Abendsonne. Die Farbe des Tages ist eindeutig orange.

Wer sich da farblich wohl nach wem richtet?
In Wirklichkeit leuchtete hier alles: Baum, Haus, Himmel
Verfall. Das Insekt entdeckte ich erst zu Hause.
Nach der Party, mitten beim Abbau. Es roch feucht und vor allem nach verschüttetem Bier.

Vor dem Abendessen beantwortet Wikipedia mir die dritte Frage des Tages: Was haben drei kombinierte Sorten Eis mit einem gewissen Fürst Pückler zu tun? Ich bin überrascht: Das Fürst-Pückler-Eis ist tatsächlich nach Hermann von Pückler-Muskau benannt. Dessen Koch „Louis Ferdinand Jungius widmete Pückler 1839 in seinem Kochbuch ein dreischichtiges Sahneeis“. Die Geschmacksvarianten Schokolade, Erdbeere bzw. Himbeere sowie Vanille kamen erst später dazu, und international heißt diese Mischung „Neapolitan ice cream“.

Puh. Viel gelernt heute: Entlausung, Fahrradhelmherstellung, Kakianbau, French Press-Herkunft und Eissortenerfindung. Hätte ich diese Dinge früher in einem Brockhaus nachgeschlagen? Allenfalls Teile davon.

Nach dem Abendessen gibt’s zwar kein Fürst Pückler-Eis (es war zu billig und ungenießbar; Preisfrage: wie entsorgt man am besten zweieinhalb Kilo Speiseeis?), aber dafür sehr leckere Spaghettini und ein bisschen zu viel Rotwein. Den Rest des Abends werde ich lesend oder filmschauend verbracht haben.

Das war der Oktober 2023

Alltägliches

Vor einigen Jahren schaffte ich mir einen Kaffee-Vollautomaten an. Die Hoffnung: Endlich mal guten Kaffee ohne all den Kapselmüll genießen zu können. Trotz häufigem Säubern fängt das Teil jetzt an, ab und zu dünnen Kaffee zu brauen und durch wildes Blinken Fehlercodes auszugeben, deren Übersetzung mit Hilfe der Anleitung zu nichts führt. Womöglich reicht es, das Gerät einmal komplett auseinander zu nehmen, alle Schläuche und ein-zwei Teile zu ersetzen und es wieder zusammenzuschrauben, aber dazu sehe ich mich nicht in der Lage. Also musste schon wieder neues Gerät her, was mich ärgert – wenigstens hat sich das bisherige verglichen mit dem davor inzwischen amortisiert.

Um weniger Elektronik einzusetzen, die dann schon wieder viel zu früh kaputt geht, sind hier nun eine French Press-Kaffeekanne und eine elektrische Kaffeemühle eingezogen, die kann nichts anderes als Kaffeebohnen mahlen und hat nur zwei Knöpfe. Sie macht bei der Arbeit herrlich viel Lärm, das weckt mich morgens schon zur Hälfte auf, meinen Nachbarn eventuell auch, außerdem riecht der frisch gemahlene Kaffee ganz famos. Also hake ich dieses Erlebnis jetzt als erfolgreich ab. Sucht jemand mit Bastelambitionen zufällig einen Kaffeevollautomaten, der eventuell mit wenigen Handgriffen wieder komplett funktionstüchtig ist?

Manchmal fällt mir auf, dass ich sonderbares Interesse an Alltagsdingen zeige. Neulich fragte ich die Bäckereifachverkäuferin, weshalb ihre Brotschneidemaschine das Brot vertikal schneidet, alle anderen Maschinen machen das doch immer horizontal. Sie war angemessen verwirrt und vermutete, dass das Ding weniger Platz benötige. Es sei auch die einzige Maschine dieser Kette, meinte sie, alle anderen Filialen hätten eine „normale“. Ich freue mich über diese Antwort. In der Regel erlebe ich es so, dass die Menschen in meinem Umfeld bei derlei Nachfragen einfach verdattert sind und gar nichts zu meinem seltsamen Wissenswunsch sagen können. Insbesondere wenn es sich um ein Verkaufsverhältnis handelt. Was auch okay ist, denn die Leute wollen sicher weiterarbeiten.

Manchmal kommt man um Bürokratie nicht herum: Im Oktober sitze ich viele Stunden am Schreibtisch und drucke Steuerunterlagen für mehrere Jahre Buchhaltung. In diesen Momenten freue ich mich wahnsinnig, dass ich jede noch so unwichtig scheinende Quittung und alle Rechnungen einscanne. Das Gedrucke erinnert mich an damals, als ich Aushilfe in einem Copyshop war, und bald riecht es auch so. Auch die trockenen Papierstaub-Hände sind die gleichen.

Eine Erkenntnis bringt mir diese ganze Papierschlacht auch: Ich weiß jetzt, wie viel mich meine Implantate vor einigen Jahren gekostet haben. (Ich füge hinzu: Es handelt sich um Zahnimplantate. Die Augen einer Kollegin hättet ihr sehen sollen, als ich den Hinweis vergaß und sie kurz dachte, ich hätte mir irgendwo am Körper künstliche Dinge einsetzen lassen.) Trotz Erstattungen von Krankenkasse und Zusatzversicherung war der Spaß teurer als ein normaler Jahresurlaub, ein Glück, dass man in der Pandemiezeit sowieso nicht verreiste. Hüstel.

Draußen

Anfang des Monats unternehme ich eine Reise mit Übernachtung, die erste seit längerer Zeit. Ziel ist Freudenberg im Siegerland. Von Bonn aus führt eine der möglichen Routen erstmal nach Köln, dann biegt man nach Osten ab, fährt eine Weile durch herrliches Waldgebiet und ist plötzlich umringt von schieferverkleideten Häusern, die alle gleich aussehen.

Sehr urig, das alles. Es geht ins hübsche Restaurant unseres Hotels, größere Gesellschaft, viel Geklöne, leckeres Essen und irgendwann sagt die Bedienung, sie hätten hier ja gleich eigentlich Feierabend. Wir sind ohnehin müde und da ist es schön, dass das Bett nur ein paar Stockwerke höher auf uns wartet.

Am nächsten Tag Bötchenfahrt auf dem Biggesee, sehr empfehlenswert, entweder wenn man 70 oder älter ist, oder wenn man Bötchen mag, oder wenn man Seen mag, oder wenn man mal mit einem Schiff mit Elektroantrieb fahren will, oder wenn man frische Luft mag, oder wenn man gerne Aperol Spritz mit Aussicht trinkt – ausreichend Gründe also.

Ich wohne in einem kleinen, eher verschlafenen Ortsteil von Bonn und nenne ihn immer das „Dörfchen“. Vermutlich hat man hier auch in den Jahren, als Bonn Hauptstadt war, wenig von dem Trubel mitbekommen. Entsprechend historisch sieht es in manchen Nebenstraßen noch aus. Wobei: Über den letzten Satz können Menschen aus Bonn-Muffendorf nur lachen, deren kompletter Ortskern soll nämlich jetzt ein Denkmalbereich werden. An einem Wochenende schlendere ich jedenfalls gleich zwei Mal ins neue Café im Dorfzentrum. Viel los ist dort nie, aber mir scheint, es gibt dennoch einen stetigen Strom an Gästen. Hoffentlich hält sich der Laden, ich trage meinen Teil dazu bei. Zum Glück wird der Anfang des Jahres geschlossene Supermarkt demnächst mit anderer Marke wieder eröffnet, das wird den Ortskern beleben. Kleine Dörfchen wie dieses brauchen das, sonst verdorren sie.

Arbeit

Im monatlichen #WMDEDGT nörgele ich ganz schrecklich darüber, dass ich keine Einsicht in die Programmierung eines Dienstleisters habe. (Der Beitrag wurde übrigens nicht an Menschen mit Abo verschickt, sorry, meine Schuld.) Sie der Zufall es will, erhalte ich am nächsten Tag eine mehrere hundert Seiten starke Dokumentation der Programmierung. Nicht exakt das, was ich erwartet hatte, aber trotzdem, das hab ich jetzt davon! Der Fehler wurde inzwischen übrigens gefunden und was soll ich sagen – die von mir verdächtigte Person war gar nicht schuld. Stattdessen lag es an Nicht-Kommunikation innerhalb meiner eigenen Firma und das regt mich noch ein Stück mehr auf, gleichzeitig ist mir mein Gemecker von neulich peinlich.

Dann habe ich für einige Tage mit einem unvorhergesehenen Arbeitsvakuum zu tun. So nenne ich die Zeit, in der keine der auf der Liste stehenden Tätigkeiten dringend ist, ich aber weiß, dass sich das in Kürze ändert. Ich kann und sollte mich also den Aufgaben zuwenden, die wichtig aber eben nicht eilig sind, und davon sind auch genug vorhanden. Aber in welche davon vertiefe ich mich, welche dauert nicht zu lange und habe ich womöglich eine übersehen, die bald dringend wird, wenn ich andere dringende Aufgaben habe? Ich mag diese Vakuums nicht, aber manchmal kommen sie eben vor.

Ende des Monats habe ich eine zweitägige Weiterbildung und es fallen währenddessen Personen im Team aus, so dass wir überraschend dünn bis gar nicht besetzt sind. Ich schaue zwischendrin pflichtbewusst in die Mails und stelle fest, dass nicht nur nichts „anbrennt“, mehr noch, es sind fast gar keine Mails eingegangen. Hab ich mir wieder zu viele Gedanken gemacht.

Gesundheit

Zwischendurch werde ich wieder mal an das jederzeit mögliche Ende erinnert: Auf der Heimfahrt von der Arbeit sehe ich einen Notarzteinsatz. An die zehn Einsatzleute scharen sich auf der Straße um eine Bahre, darauf liegt ein gestikulierender Mann. So lange er noch mit den Armen wedeln kann, ist es hoffentlich nicht zu ernst. Die Szene erinnert mich an einen Snowboardunfall vor vielen Jahren. Der jedenfalls war zwar nicht lebensbedrohlich aber doch ernst und ist im Nachhinein unter „jugendlichem Leichtsinn“ einzuordnen.

Ich kann Skifahren, aber Snowboarden kann ich nicht. Das mag auf den ersten Blick überraschen, findet doch beides auf den gleichen Bergen statt, aber nur weil ich Brustschwimmen beherrsche, kann ich deshalb noch nicht kraulen. Nach ein paar Tagen Üben und blauen Flecken an beiden Handgelenken und dem Steißbein hatte ich seinerzeit beschlossen, ich sei jetzt fit genug für einen Sprung über eine Mini-Halfpipe. Völlig unrealistisch natürlich, ich hätte mich damit zufriedengeben sollen, ausnahmsweise mal nicht hinzufallen, und darum weiß ich jetzt, wie sich ein ausgerenkter Ellenbogen anfühlt. Nach dem missglückten Stunt saßen ebenfalls an die zehn Leute um mich herum, deckten mich im Schnee mit einer goldenen Wärmedecke zu und riefen eine Pistenraupe, mit der ich zur nächsten Liftstation tuckern konnte. So ein Pistenbulli fährt übrigens sehr schaukelig und das ist mit ausgerenktem Ellenbogen kein Spaß. Eine harte Morphiumdröhnung beendete dann endgültig meine Skiferien, an die nächsten Tage kann ich mich nur bruchstückhaft erinnern. Ich lächle mit Gipsarm auf Fotos in Situationen, die in meinem Kopf völlig ausradiert sind. Gruseliges Zeug, das.

Bei der Physiotherapie werde ich im Oktober erstmals geschröpft; eine alternative Therapiemethode, die in der Wirksamkeit der Akupunktur wohl sehr nahe kommt. Mein Rücken sieht danach aus, als hätte ich mit einem Oktopus rumgemacht, die runden Blutergüsse werden erst nach zwei Wochen verschwinden. Einen positiven Effekt merke ich natürlich nicht und werde beim nächsten Mal gerne darauf verzichten, mir scheint das Zeitverschwendung zu sein. Immerhin: Die zwanzig Minuten unter der Infrarotlampe fühlen sich an wie in der Badewanne zu liegen, nur ohne das nervige Duschen und Abtrocknen.

Ansonsten hat mich seit vielen Jahren mal wieder eine ganz normale Erkältung erwischt. Das vermute ich jedenfalls anhand der Symptome, der Corona-Test ist auch negativ. Einmal muss es sein und ich gehe mit Maske einkaufen, und werde plötzlich von keinem Menschen mehr verstanden. Einen älteren Herrn muss ich regelrecht anbrüllen. Wie gern würde ich hinzufügen, ich sei eventuell ansteckend und trüge das Ding für ihn, nicht für mich, aber ich will einfach nur wieder nach Hause.

Zudem bin ich so gut wie den gesamten Monat über müde und könnte permanent schlafen. Vielleicht war ich im früheren Leben ein Tier das Winterschlaf hält, ein Arktisches Erdhörnchen zum Beispiel, die schlafen acht Monate lang. Das würde mir gut gefallen. In der SZ steht allerdings, dass ihre Körpertemperatur dabei auf wahrlich atemberaubende -3 Grad fällt, das stelle ich mir doch eher ungemütlich vor. Und dann noch das hier:

In ihrem eisigen Erdloch kann die Temperatur (…) auf fast minus 20 Grad fallen. Zweimal im Monat wachen die Hörnchen kurz auf, um zu überprüfen, ob ihr Gehirn noch funktioniert.

Vielleicht bleibe ich doch lieber Mensch mit geheiztem Heim und mehr oder weniger funktionierendem Hirn. Schnief-hust, ich weiß, ein Schnupfen ist harmlos und geht von allein weg, aber wie kann eine einzelne Krankheit bitte so nervig sein?

Medien

Einen motivierenden Eimer „jetzt reiß dich mal zusammen“ bekomme ich bei der Lektüre von Novemberregen zum Thema „Mut zum Scheitern“ gereicht. Ich will den Text noch mehrfach wiederlesen.

Da es nun sowieso ständig passiert und man sich nicht aufwändig zu Mut verhelfen muss, um richtig schön scheitern zu können, folgt logischerweise, dass Scheitern kein Grund zum Verzagen ist.

Der Text holt mich an der richtigen Stelle ab und bringt mich zu einer besseren hin – besser als so allgemein kann ich das gerade nicht ausdrücken. Es ist jedenfalls schön, die möglichen Herangehensweisen einmal so vor Augen geführt zu bekommen.

In diesem Monat kündige ich spontan Netflix und Spotify gleich noch dazu, und wechsle zu Apple One, einem Rundum-Paket mit Musik und (weit weniger) Filmen. Wie im August berichtet, habe ich schon eine Weile darüber nachgedacht. Ich übertrage also viele tausende Songs aus der Mediathek von Spotify zu Apple Music und schaue einige Filme bei Apple TV+, die überraschend gut sind. Mein Eindruck inzwischen: Netflix ist das McDonalds unter den Streaminganbietern, rein – fressen – raus, und Apple TV+ ist eher das gehobene Restaurant, in das man geht, wenn man mal richtig gut essen will. Seltener vielleicht, aber dafür mit Genuss. Mal sehen, ob der Eindruck bestehen bleibt. Gerade schaue ich Ted Lasso und bin begeistert.

Matthew Perry ist gestorben. Der Name sagt mir etwas, aber erst beim Nachschauen stelle ich fest: Er hat in der Kult-Serie „Friends“ Chandler Bing gespielt, und das macht mich dann doch etwas niedergeschlagen. Ich kannte mal jemanden, der ihn vergötterte und frage mich, was er wohl dazu denkt. Überdies ist 54 wirklich zu früh fürs Ableben, ich finde es schade, dass Perry seine Drogensucht nicht in den Griff bekam. Da fällt mir ein: Ich habe alle zehn Friends-Staffeln auf DVD, wäre vielleicht mal Zeit für ein Wiedersehen.

Wer schreibt, handwerkt, spaziert oder ab und zu Spiele spielt, kennt den Effekt des Flows, wenn auch vielleicht nicht unter dem Begriff. Laut Wikipedia beschreibt Flow „das als beglückend erlebte Gefühl eines mentalen Zustandes völliger Vertiefung und restlosen Aufgehens in einer Tätigkeit, die wie von selbst vor sich geht – auf Deutsch in etwa Schaffens- bzw. Tätigkeitsrausch“. Ich befinde mich bei der PlayStation je nach Spiel manchmal auch in einem gewissen Flow. Von den Entwicklern ist das ein gewollter Zustand. Wie schwierig es ist, ihn zu treffen und angemessen lange aufrecht zu erhalten darum geht es in einer Folge von „OK COOL“, zu Gast waren die Psycholog:innen von „Behind the Screens“. Zur Folge.

Dieser Tage beendete ich „Life is Strange: True Colors“. Die Life is Strange-Reihe ist generell eine sehr gut gemachte Serie aus Walking Simulatoren, im Grunde also Bücherlesen am Bildschirm, angereichert durch Entscheidungen, die zu verschiedenen Enden der Geschichte führen. Bei „True Colors“ fehlte mir leider das Flow-Erleben ganz häufig, auch wenn es ein schön gemachtes Spiel ist.

Gelesene Bücher

Silo 1 bis 5 (Hugh Howey)

Ständig vergesse ich, dass ich Science Fiction-Bücher mag. In „Silo“ geht es in mehreren eher kurzen Büchern um das Leben der Menschen in einer dystopischen Zukunft, in der sie in einer Kolonie unter Tage leben. Böse Mächte scheinen die dortige Lebensrealität zu bestimmen und dafür sorgen zu wollen, dass die von ihnen erschaffene Welt genau so bleibt, wie sie scheint. Und am Ende ist das zwar alles irgendwie wahr, aber dann auch wieder ganz anders als vermutet. Die Reihe aus fünf je relativ kurzen Büchern liest sich gut weg.

Das Erbe der Kriegsenkel – Was das Schweigen der Eltern mit uns macht (Matthias Lohre)

Als Leser folgte ich Matthias Lohre in diesem Buch bei seiner Selbsttherapie. Er geht der Frage nach, welche Traumata und dadurch auch Verhaltensweisen er als Enkel von Personen, die einen Krieg am eigenen Leib erlebt haben, noch mitschleppt. Mit anderen Worten: Verhält er sich heutzutage manchmal falsch, weil sein Großvater im Krieg war? Ich habe mich in der Vergangenheit auch bereits gefragt, in wie weit die Leiden der beiden großen Weltkriege einen Effekt auf die heutige Gesellschaft haben und fühle mich nach Lektüre des Buches an manchen Stellen bestätigt. An vielen anderen ist es mir allerdings zu langatmig und geradezu langweilig, dann wiederum denke ich in jedem Satz „ha, dachte ich mir doch“ oder „geht mir genauso!“. Freud und Leid, man kann das Buch mögen. Es schließt sich ein interessantes Mailgespräch in der Familie an, der Teile des Buchs erneut bestätigt.

Im Wasser sind wir schwerelos (Thomasz Jedrowski)

Noch so ein – für mich – durchwachsenes Buch. Mein Eindruck ist, dass darin ein Lebensabschnitt eines jungen Mannes im Polen der 80er beschrieben ist, der sich in einen anderen Mann verliebt. Andere Menschen könnten den Eindruck haben, das Buch sei eigentlich ein politisches, in dem es um staatliche Unterdrückung und die Angst geht, die freie Geister in solchen Nationen umtreibt, so geschehen am Beispiel dieses Mannes. Man kann das Buch also so oder so lesen, und wenn man den Fehler macht, sich auf eines der beiden Themen zu fokussieren, wird man von der jeweils anderen Hälfte enttäuscht. Ich hätte darum in der Mitte aufhören sollen zu lesen.

Fährte des Todes (Kathy Reichs)

Das Buch möchte gern ein Thriller sein, aber für einen echt thrilligen Effekt ist es viel zu kurz. Erzählt wird von den Ermittlungen in zwei Todesfällen, das Buch ist in anderthalb Stunden locker durchgelesen. Trotzdem fühlt es sich nicht gehetzt an, es hält sich nur eben nicht mit Unwichtigem auf. Witzig ist, dass ich glaube, es schon mal gelesen zu haben, aber das fiel mir erst ganz am Ende beim Höhepunkt auf. Es hat mich gut unterhalten, kann man wohl in zehn Jahren wieder lesen.

Rausschmeißer

In den letzten Oktobertagen lässt die Temperatur merklich nach, endlich ist der Herbst da. Mich erreicht ein um zwei Monate verspätetes Geburtstagsgeschenk, was ich sehr witzig finde. Und dann ist es auch noch italienischer Limoncello in einer obszön geformten Flasche. Also gibt’s eines Abends sommerlichen Limoncello Spritz in Pullover und Wollsocken, es muss ja sein, welch fürchterliches Schicksal. Prost.