Phasenleben

Der Blog hier wird von mir immer in Phasen bespielt. Mal kommen die Ideen nur so angeflogen und im regulären Leben stolpere ich von einer Idee in die nächste – in diesen Zeiten komme ich mit dem Schreiben gar nicht hinterher. Dann wieder gibt es Monate, in denen ich nichts schreibe, hauptsächlich, weil mir nichts einfällt. Und wenn mir dann doch mal eine Idee über den Weg läuft, dann habe ich keine Lust.

Nach einer längeren Pause habe ich nun wieder das Gefühl, ich möchte etwas schreiben, allein, es fehlt an der Idee. „Ob ich wohl nichts erzählenswertes mehr erlebe?“, fragte ich mich neulich, das wäre ja auch kein Wunder in dieser Zeit. Sogar auf Ideenseiten im Internet habe ich mich herumgetrieben. Spoiler: dafür ist Lebenszeit zu schade. Auf einer sollte ich Stichworte eingeben, die dann in vorgefertigte Sätze eingefügt wurden: „Das Für und Wider von XY.“ Oder „die fünf besten Eigenschaften von XY.“ Oder „warum XY besser als ABC ist“. Äußerst hilfreich. Andere Seiten erklärten mir, ich solle den geneigten Leserinnen und Lesern eine Problemlösung anbieten, einen „das geht auch dir so“-Artikel verfassen oder eine ultimative zehn-Punkte-Anleitung.

Völlig absurde Ideen also, zumindest was diesen Blog angeht, denn ich verkaufe hier keine Idee und auch keine Story. Nun, die Suche nach einem Thema für einen Beitrag war eindeutig der Tiefpunkt dieser, nennen wir es mal Schreibblockade. Und „nichts erleben“ kann man schließlich gar nicht, so lange man morgens aufwacht.

Apropos aufwachen: „Ich habe schon mehr vergessen als du in deinem Leben jemals lernen kannst“ soll mal jemand gesagt haben. Das erinnert mich immer an die Twitter-Abwandlung „ich habe schon mehr Tweets verworfen als veröffentlicht“ und so ähnlich ist es hier auch. Seit Jahren warten ein paar Artikel auf Veröffentlichung. Warum so lange? Weil es da um Menschen geht, die zwar morgens noch aufgewacht, abends aber nicht mehr eingeschlafen sind. Und auch wenn ich persönlich damit eher vertraut bin, weiß ich nicht, wie ich das Thema „Ableben“ in einen Blogeintrag gießen soll, bei dem anderen nicht unwohl wird oder bei dem manche nicht sofort aufhören zu lesen (wenn ich’s recht bedenke, kann das wegen dieses Satzes soeben passiert sein). Das ist alles so schrecklich ernst, dabei gehört es doch zum Leben dazu.

Andere Artikel warten, weil sie auch mit etwas Abstand betrachtet einfach nicht gut gelungen sind. Ehrlich, die Ideen dazu kamen niemals aus einer der oben genannten Thema-Generierungsmaschinen. Entweder ist das Thema blöd oder… ja… oder habe ich sie einfach schlecht geschrieben.

Es fehlt mitunter einfach an einer zündenden Idee. Wie ein Funke im Heuschober darf es sich dabei auch um einen klitzekleinen Gedanken handeln. Neulich las ich bei Carsten, dass ihm ab und an zusammenhanglose Sätze einfallen, die er gerne behalten möchte. Das geht mir auch so! Wer weiß, vielleicht eignen sie sich ja irgendwann für irgendwas – doch blöderweise vergesse ich sie schneller, als dass ich sie aufschreiben könnte. Ich sollte ein Diktiergerät mitführen.

Einen klitzekleinen Gedanken hatte ich heute, als ich erfolglos online auf wirklich JEDER Shopping-Seite nach einer bestimmten LED-Dekoration für ein bestimmtes Zimmer in einer bestimmten Jahreszeit suchte. Ob ich wohl zu pingelig bin? Jedenfalls fiel mir ein, dass ich schon in einer ziemlich seltsamen Zeit lebe, wenn ich mich rein wegen der Unüberschaubarkeit des Angebots nicht für ein Leuchtobjekt entscheiden kann. Vor nicht allzu langer Zeit konnte man sich noch freuen, wenn man abends ein paar Kerzen in der zugigen Bude hatte oder vielleicht sogar ein Feuerchen. Ach, was sage ich, man konnte sich glücklich schätzen, überhaupt eine zugige Bude sein Eigen nennen zu können. Und ich ärgerte mich gestern erst, dass die Batterien des künstlichen Kaminfeuers leer sind…

Aber zurück zum Thema. Wer also morgens aufsteht, hat etwas zu erzählen. Man muss nur genau hinhören, -schauen oder -lesen. Ich nehme mir das mal vor.


Photo by Lia Leslie from StockSnap | Ein großartiges Stockfoto, das – so wie es ist – nichts aussagt. Insbesondere weil es zur Hälfte leer ist, passt es wunderbar zu diesem Artikel.

Musik

Meine erste richtige Erinnerung an Musik? Ich stellte damals ein Mikrofon vor einen Lautsprecher und nahm Radiomusik auf eine Kassette auf. Das Mikrofonkabel war schlecht angebracht, also durfte man das Mikrofon nicht bewegen, sonst gab es Knackgeräusche in der Aufnahme. Trotzdem machte ich zwischendurch Moderationen und plapperte über den Tag, was wir gegessen hatten und sonstige Dinge, die einen später nicht mehr interessieren. Die Kassetten beschriftete ich sorgfältig. Und wehe, jemand kam ins Zimmer und sprach mitten in die Aufnahme! Wer weiß, wann das Lied wieder mal im Radio gespielt werden würde!

Manchmal vergaß ich vor lauter Musikgenuss auch, die Aufnahme wieder zu beenden. Daher weiß ich bis heute, dass im Schwimmbad der Stadt Schweich seinerzeit eine Chlorgaswolke entwichen ist und die Anwohner Türen und Fenster geschlossen halten sollten. Man würde berichten, wenn die Gefahr vorüber sei. Die Entwarnung habe ich nie gehört, aber das Problem sollte mittlerweile behoben worden sein.

Schallplatten gehören auch zu meinen ersten Erinnerungen. Wir hörten Hippie-Musik unserer Elterngeneration, Klassik, lustige deutsche Musik und „Peter und der Wolf“. Irgendwann besaß ich auch selbst mal einen Plattenspieler und sammelte einige der Schallplatten in meinem Zimmer – aber ich kaufte nie selbst welche.

Mr. Vain von Culture Beat war dann meine erste CD. Ich lief mit meinem Vater durch einen Musikladen und wollte unbedingt dieses Lied haben, wusste den Titel aber nicht. Auf die Frage, was denn da gesungen würde, konnte ich nicht viel antworten, außer „irgendwas mit Mister Vain oder so“. Da hielt mir ein aufmerksamer Verkäufer plötzlich die CD vor die Nase. Ich war selig. In meinem neuen CD-Abspielgerät hörte ich die Lieder der Single so oft, dass ich sogar davon träumte. Da war ich gerade einmal elf Jahre alt.

Durch meine komplette Jugend zog sich die Musik dann wie ein roter Faden. Ich sollte auch auch selbst welche machen – Gitarre, E-Gitarre, Keyboard und Klavier habe ich versucht, kann bis heute aber keine Noten lesen und beherrsche keines der Instrumente auch nur ansatzweise. Stattdessen dudelte in jeder freien Minute in meinem Zimmer irgendwelche Musik. Radio fand ich schon immer doof und war lieber mein eigener DJ. So wurden die CD-Sammlungen mehr, die aufgenommen Kassetten, später Mini-Discs und dann MP3s häuften sich an. Ich verbrachte gerne Zeit in meinem Kinderzimmer, lauschte Musik oder auch mal Hörbüchern und beschäftigte mich mit irgendwas.

Dann bekam ich meinen ersten Walkman geschenkt. Ein neueres Modell des Klassikers von Sony. Unter der Auflage, ihn niemals auf dem Fahrrad zu benutzen. Ich hielt mich daran und verbrauchte nun unterwegs Batterien um Batterien. Selbst wenn ich mal aus Versehen nur eine Kassette dabei hatte – dann wurde die halt immer wieder von vorne gehört.

In einem Urlaub auf Kreta hatte ich gerade zwei neue Lieblingslieder und schaffte es einen ganzen Tag lang, mit zwei wechselnden Ohrwürmern zu verbringen. Wir besichtigten Dinge, liefen durch Straßen – was man als Jugendlicher im Urlaub eben so macht. Immer, wenn das eine Lied anfing zu nerven, wechselte ich zum anderen. Das habe ich seither nie wieder hinbekommen.

Bei der elektronischen Musik blieb ich mehrheitlich, ich mochte sie langsam und schnell, laut und leise. Hauptsache, es gab eine schöne Melodie, die mich zum Träumen bringen konnte. Ich malte mir dann manchmal aus, ein Superheld zu sein bei dem, was mich im wirklichen Leben gerade beschäftigte. Ich konnte fliegen, hatte telepathische Kräfte und wusste Feuerwerk an den Himmel zu zaubern.

Jahre später bekam ich die Chance, von Bekannten eine Musikanlage in mein damals nagelneues Auto eingebaut zu bekommen. Ich kaufte die Teile – einen Verstärker, viele dicke Kabel und einen sehr großen Basslautsprecher – und sie verbauten das Zeug im Auto. Fortan war die Kiste eine fahrende Disco. Man konnte den Bass so laut aufdrehen, dass man jedes einzelne Haar auf dem Kopf vibrieren und den Druck im Brustkorb fühlen konnte.

Ich brannte ein Dutzend CDs und hatte so auf der Straße für jede Stimmung etwas parat. Besser noch: Mit der ohrenbetäubenden Musik konnte ich mich in andere Welten versetzen. Aggressionen ab- und Freude aufbauen, Trauer ausleben. Wie häufig habe ich am Steuer geheult, nur um dann beim nächsten Lied laut mit zu singen. Die wahllos zusammengestellten Lieder auf den CDs ließen mich alle möglichen Emotionen durchleben.

Im Sommer drehten wir die Musik rauf und die Fenster runter, ließen uns auf der Autobahn die Freiheit um die Nase wehen und jubelten gemeinsam mit den Interpreten der angesagten Lieder um die Wette. Am meisten genoss ich aber die Fahrten alleine. Da konnte ich sein, wie ich gerade wollte.

Die fahrende Disco gibt es mittlerweile nicht mehr. Laute Musik höre ich immer noch gerne, aber nun eher mit Kopfhörern. Vielleicht lasse ich mir irgendwann wieder einmal eine Anlage ins Auto einbauen – ich vermisse das ein bisschen.

Die permanente Suche nach Musik, die mir etwas gibt, mir einen kleinen, eskapistischen Moment oder eine Gänsehaut verschafft, die existiert immer noch. Das wird vermutlich auch immer so bleiben.


Titelfoto: Hello I’m Nik/Unsplash.com

Die erste eigene Wohnung

Neulich bin ich umgezogen. Es war mein vierter Umzug und ich kann nicht sagen, dass mir solche Dinge besonderen Spaß bereiten würden. Neben der ganzen Schlepperei bringt eine neue Wohnung zu viel Bürokratie mit sich, bis dann endlich auch die letzte Versicherung über die neue Adresse informiert ist.

Umzüge bedeuten – zumindest bei mir – ja immer auch einen neuen Lebensabschnitt. Es kann sein, dass das ganz automatisch passiert, weil sich das eigene Umfeld in der Regel einfach stark ändert: Das Schlafzimmer, die Küche, die Aussicht, die Gegend, vielleicht sogar die Stadt oder das Land.

Meine erste eigene Wohnung war in Lohmar, das liegt im Rheinland zwischen Siegburg und Köln. Lohmar war ein Durchfahrtsort mit drei großen Wohnblöcken am Stadtrand, ganz in der Nähe zu meiner Arbeitsstelle im Zivildienst. Die Häuser des Wohnblocks hatten jeweils sicher über zehn Stockwerke und waren recht heruntergekommen. Es gab einen alten, zum Parkplatz umfunktionierten Tennisplatz und einen Pool, der niemals gereinigt wurde und in dem ich in anderthalb Jahren nur einmal Leute sah.

Meine Wohnung befand sich im zweiten Stock und wurde zwar offiziell leer vermietet, allerdings standen einige große Möbel vom Vormieter darin. Überhaupt sah die Wohnung komisch aus: Als wäre der Vormieter einfach irgendwann nicht mehr wieder gekommen. Der Eigentümer erwähnte etwas von der Polizei und Gefängnis – mehr wisse er aber auch nicht.

Da ich die Möbel übernehmen musste, sie aber allesamt nicht mochte, stand erst einmal Ausräumen bevor: Eine für die 25qm-Bude übergroße Leder-Couch und ein gefliester Metalltisch. Unter der Ledercouch fanden wir ein Kassettendeck und ein Skalpell. Außerdem gab es einen wuchtigen Kleiderschrank, der vor einer Aussparung in der Wand stand. Zu meiner Überraschung fanden wir dahinter allerdings nichts.

Nach der Renovierung – ein neuer Boden kam auch rein – zog ich ein und stellte bald fest, dass ich nun den Kühlschrank wohl selbst füllen musste. Also ging ich das erste Mal für mich allein einkaufen und stand überfordert im Supermarkt: Was kauft man denn? Brot? Aufschnitt? Welchen der vielen Joghurts? In der nächsten Zeit lernte ich schnell, dass es sich lohnt, einen Einkaufsplan zu machen, denn sonst geht man täglich einkaufen, weil ständig etwas fehlt. Ich lernte auch, dass Pizza aus der Mikrowelle zwar genießbar ist, aber nicht lecker schmeckt, und dass diese Regel nicht für American Pizza mit dickem Boden gilt, weil dieser die Konsistenz eines Spülschwamms annimmt. Ich lernte außerdem die Entspannung eines heißen Tees auf dem Balkon am Morgen zu genießen und was es bedeutet, so lange ausschlafen zu dürfen, wie man will.

Eine Weile nach meinem Einzug klingelten immer wieder Menschen an der Tür und wollten meinen Vormieter sprechen. Sie alle drückten ihr Begehren nur unklar aus, aber sie wollten offenbar Dinge von ihm kaufen. Dass es sich dabei um Drogen handeln könnte, wurde mir erst später klar. Für eine eher temporäre Bleibe meines Vormieters sprach auch die Tatsache, dass wir in der Bude gar kein Bett gefunden hatten. Die Besuche hörten aber irgendwann auf.

Eines Tages erhielt ich ein Paket und der Postbote war so nett, es bis an meine Wohnungstür zu bringen. Während ich den Empfang quittierte, stellte er sich auf die Zehenspitzen, schaute über meine Schulter in die Wohnung und fragte dann: „Ist das nicht die Wohnung, in der mal die Leiche gefunden wurde?“ – Diese Frage und all diejenigen, die sich daraus ergeben, habe ich bis heute nicht beantworten können und bin darüber auch ganz froh.

Ich blieb nicht allzu lange dort wohnen, denn nach dem Zivildienst verschlug es mich nach Bonn und glücklicherweise in eine viel schönere Wohnung. Dort erlebte ich übrigens auch eine erzählenswerte Geschichte, über die ich hier berichtet habe.


Titelfoto: Matthew Henry/StockSnap.io