Rudern auf dem Strom des Lebens

Neulich sah ich ein paar Folgen der Serie Being Erica. Eine Frau bekommt durch die Hilfe ihres übernatürlichen Therapeuten die Möglichkeit, in der Zeit zurück zu verschiedenen Phasen ihres Lebens zu reisen. Diese Trips dauern immer ein paar Tage und drehen sich immer um eine bestimmte Situation, von der sie im Heute glaubt, sich falsch verhalten zu haben. In jeder Episode übernimmt sie eine Reise und trifft dort auch jedes Mal den Therapeuten zu einem kurzen Gespräch. In einer dieser Folgen bin ich auf ein schönes Zitat gestoßen. Der Therapeut sagt:

Lerne zu sein, wer du bist und lerne gelassen auf all das zu verzichten, was du nicht bist.

Das Zitat soll von Henri Frédéric Amiel stammen, einem französischsprachigen Schweizer, der Mitte des 19. Jahrhunderts in diversen Ländern der heutigen EU lebte. Auch wenn sein Tagebuch – er war Schriftsteller und Philosoph – erst nach seinem Tod entdeckt wurde, so hatten diese Schriften trotzdem einen großen Einfluss auf einige heutzutage namhafte Personen wie zum Beispiel Leo Tolstoi.

rowing

Ericas Therapeut zeichnet außerdem das Bild einer Ruderin, die nur mit einem Ruder arbeitet, das dafür steht, wie andere Menschen sie sehen und was sie von ihr erwarten. An ein Vorwärtskommen ist mit einem Ruder aber natürlich nicht zu denken; so hätte das Rudern nur Sinn, wenn sie auch das andere Ruder ins Wasser ließe, das dafür stehe, wie sie selbst sich sehe und sein wolle. Ich mag den Gedanken, dass zum Vorankommen im Leben immer zwei Dinge gehören: Ein bisschen das tun, was von einem erwartet wird und ein bisschen das tun, was man selbst von sich erwartet.

Ich habe das Gefühl, dass man sich in der Abwägung der beiden Gewichte oft vertut: Was erwarten andere von mir und was erwarte ich von mir? Oder anders gesagt: Welches Verhalten hätten andere gerne von mir gesehen und welches Verhalten möchte ich von mir sehen? Immer dann, wenn die Antworten auf diese Fragen nicht identisch sind, muss man abwägen, ob man sich grob gesagt entweder für den äußeren Frieden und „die anderen“ oder für den inneren Frieden und „sich selbst“ entscheidet. Eine gesunde Mischung also zwischen Altruismus und Egoismus – der klassische Kompromiss.

Mit dieser (etwas schwammigen) Definition bekommt das Zitat von Amiel noch mehr Spielraum: Nicht nur ist es völlig in Ordnung, für sich selbst auf das zu verzichten, was man nicht ist. Es ist obendrein auch gesund, auf das zu verzichten, von dem andere erwarten, dass man es sei.

Foto: manwalk / pixelio.de

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