Irgendwann in der Zeit zwischen dem Auszug bei Mutti und der Erkenntnis, dass ein gemütliches Glas Wein am Abend auch sehr erfüllend sein kann, war ich ein paar Mal Gast in der einen oder anderen einschlägigen Szenedisco im nahe gelegenen Köln. Sprich: Wenig Frauen, viel nackte Haut, durchaus ungesunde Mengen an Alkohol und Berührungen an diskreten Stellen.
Dass ich in nicht allzu ferner Zukunft die Vorzüge eines gemütlichen Wohnzimmerabends immer über die einer durchgezechten Nacht stellen würde, zeigte sich schon deutlich an der Tatsache, dass ich trotz der langen Nächte fast nie den Sonnenaufgang zu Gesicht bekam. So bahnten sich trotz ausreichend aufputschenden Getränken spätestens ab ein oder zwei Uhr erste Müdigkeitserscheinungen den Weg in mein vernebeltes Hirn und ließen mich zunehmend nörgeliger werden, so dass meine Freunde sich irgendwann erbarmten und mit mir nach Hause fuhren.
Ohnehin werden diese Parties immer unangenehmer, je weiter die Zeit fortschreitet: Diejenigen, die noch keinen Partner für die Nacht finden konnten, lehnen so aufreizend an einer Wand in der Nähe des Ausgangs, wie es ihnen angesichts ihres Alkoholpegels und der Frustration ob der Tatsache, nicht schon längst fummelnd und saugend an irgendeinem Penis in irgendeinem Bett zu liegen, möglich ist.
So ist es denn auch kein großer Verlust, diesen Ort des deprimierten Gehabes – manch einer nennt es treffend nur das Resteficken – bereits vor der Schließung des Etablissements zu verlassen. Da ich aber wenigstens ein Mal in meinem Leben bis zum Anschalten des Putzlichts warten wollte (wobei ich eher annehme, dass der eigentliche Hintergrund des hellen Lichts das Ziel ist, auch die Schnapsleichen aufzuspüren, die im Dunkel einer Ecke bislang ihrem komatösen Halbschlaf nachgehen konnten) und ich eines Nachts erstaunlich fit war, blieben wir also fast bis zum Tagesanbruch. Es war Winter, so dass mit Beginn der Rausschmeißmusik die Sonne noch nicht aufgegangen war. Es bildete sich eine Schlange vor der Garderobe, in der sich vereinzelt die letzten Hoffnungen, den Rausch nicht allein ausschlafen zu müssen, erfüllten.
Im Zug zurück in unsere kleine Stadt findet um diese Uhrzeit am Wochenende regelmäßig ein meet and greet statt: Da trifft man sich wieder, da tauscht man sich aus, da ist die wirklich allerletzte Chance auf ein spontanes Stelldichein. Mich traf in diesem Zug durch den Alkohol, die Uhrzeit und die Wärme jedes Mal die Müdigkeit wie ein Hammer. Zum Glück fuhr ich nie alleine, denn sonst könnte ich hier eine dieser Geschichten von Betrunkenen erzählen, die im Zug einschlafen und in irgendeinem fernen Stellwerk wieder aufwachen. Nein, wir schafften es sogar ohne Fummelei bis zum Bahnhof und all unsere Wege trennten sich, nur ein Freund und ich blieben noch kurz zusammen.
»Ich brauch noch Geld, kommst du kurz mit zur Bank?« Mir war das recht, hatte ich doch immer noch den Wunsch, im Hellen heim zu kommen. So öffneten sich wenig später die Glastüren der nächsten Bank und das automatische Licht flammte auf, als wir den Raum betraten. Unerwartet laut war es darin, jemand raunte etwas. Als wir um eine Ecke gingen, sahen wir auf dem Boden ein junges Pärchen, ihre Jacken lagen neben ihnen. Sie hatte gerade ihren Pullover wieder herunter und er offenbar seine Hand aus ihrem BH gezogen. Zwei Knöpfe seiner Hose waren bereits geöffnet. Ihre Augen funkelten vor einer auch sicherlich durch den einen oder anderen Drink angeheizten Geilheit. Seine Augen hingegen zeugten eher von einer müden Aufopferung – es schien ihm alles recht zu sein.
Und statt im düsteren Licht von ein-zwei LEDs, umringt von schätzungsweise zehn Sicherheitskameras endlich das zu vollziehen, worauf zumindest sie ganz offensichtlich hingearbeitet hatte, mussten mein Freund und ich im absolut falschrichtigen Moment die Bank betreten. Er ging zum Geldautomaten, während ich versuchte, mich mit den beiden zu unterhalten.
Ich: »Da haben wir euch wohl gestört, was?«
Sie: »JA!«
Er: »Och…«
Ich: »Lasst euch nicht unterbrechen, wir sind gleich wieder weg.«
Sie begann sofort wieder an seiner Hose herum zu nesteln.
Er: »Nee, das will ich nicht!« – Ließ sie aber gewähren.
Ich, breit grinsend: »Es stört uns wirklich nicht!«
Doch da stand mein Freund schon wieder neben mir und zog mich aus der Bank. Wir liefen noch eine Weile gemeinsam in Richtung unserer Wohnungen, bevor sich auch unsere Wege trennten. Erst als ich kurz danach vor einer Bäckerei mit beschlagenen Fenstern stand und die Verkäuferin mir bedeutete, es sei noch zu früh für Brötchen, fiel es mir auf: Die Sonne war endlich aufgegangen. Ich schlenderte unter einem hellen Himmel nach Hause und ging zufrieden ins Bett.
Bis heute weiß ich nicht, ob am nächsten Tag vielleicht der eine oder andere Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma einen privaten Porno serviert bekam oder ob die beiden sich doch noch in ein gemütlicheres und weniger bewachtes Ambiente zurück gezogen haben. Wie auch immer das ausgegangen ist: Ich gönne allen Beteiligten alles – man ist schließlich nur ein Mal jung.