Es gab eine Phase, in der ich sowohl die Zeit als auch das Interesse hatte, ab und zu die mittlerweile eingestellte Radiosendung Domian zu hören. Eines Nachts rief dort ein wirklich bedauernswerter Mann an, der durch seinen Beruf arg gebeutelt war: Er war Bestatter. Wobei – möglicherweise ist das gar nicht die richtige Berufsbezeichnung. Sein Job war das Buddeln der Löcher für den Sarg oder die Urne – und im schlimmeren Fall auch das Buddeln des Lochs, um die sterblichen Überreste wieder hervor zu holen.
Er erzählte, dass er einmal auf einem schrecklich verwässerten Friedhof ein Grab wieder öffnen musste. Das Wasser hätte alle Leichen derart mumifiziert, dass sie nicht vergehen konnten. Als sein Kollege und er das Grab fertig ausgebuddelt hatten, standen sie also vor einem völlig durchgeweichten Leichnam und der Plan war, ihn zu exhumieren und irgendwo anders hin zu transportieren. Unser bedauernswerter Anrufer rutschte allerdings aus und fiel ins Grab, mitten in die Leiche hinein. Nun ja.
Abends duschte er ewig, doch er hatte – nicht nur in diesem Fall sondern generell – den Eindruck, dass er den Geruch des Todes nicht loswerden konnte. Aus diesem Grund wendeten sich mit der Zeit seine Freunde von ihm ab, auch seine Beziehung überstand das Problem nicht. Freilich konnte dies alles am Telefon nicht gelöst werden, ich lernte allerdings einige interessante Fakten, die ich kurz danach sogar einsetzen konnte.
Wenige Wochen nach diesem Radiointerview war ich nämich bei Freunden zu einer Geburtstagsfeier eingeladen, das Geburtstagskind wurde satte 75 Jahre alt. Obwohl neben mir auch andere jüngere Gäste bei der Party waren, gab es einen Moment, in dem ich allein mit all den älteren Ladies am Tisch saß und wie sollte es anders sein: das Thema kam auf Krankheiten und die bereits verstorbenen Verwandten und Freunde.
»Die Einschläge kommen näher«, sagte eine Dame düster und die Gruppe schwieg. Ich nippte an meinem Kaffee und beobachtete die Gäste. Alle hingen ihren Gedanken nach, bis jemand sagte: »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, im Grab zu liegen. Es ist eine so ekelhafte Vorstellung, von Maden und Käfern zerfressen zu werden bis nichts mehr von mir übrig ist.« Zustimmendes Murmeln und Grübeln. Das war meine Chance.
»Aber so ist es doch gar nicht.«
»Wie, bitte?« Alle sahen mich erstaunt an.
»Tote Körper werden in der Erde nicht von Maden und Käfern zerfressen. Diese Tiere benötigen Luft zum Entstehen und Leben, die gibt es aber in der Erde nicht ausreichend. Der Körper wird stattdessen von Bakterien zersetzt, das geschieht ganz langsam und harmlos. Vielleicht kriecht mal ein Regenwurm an einem vorbei, das ist aber auch alles. Also: keine ekligen Tiere!«
Während ich das erklärte – und ich war mir der völlig absurden Situation bewusst, erzählte ich diesen Damen doch, wie sie später im Grab liegen würden – ging ein erstaunlich großes Aufatmen durch alle Gäste. Ich konnte zusehen, wie die Gesichter sich entspannten, es wurde hier und da wieder gelächelt und zum Kaffee gegriffen.
»Ehrlich? Das wäre ja sehr schön!«
»Ja, ganz ehrlich. Maden können im Grab nicht existieren.« Und ich fügte hinzu, obwohl es völlig bescheuert war:
»Da brauchen Sie für später keine Angst zu haben.«