„Was machst du eigentlich den ganzen Tag“, kurz #wmdedgt, ist eine Idee von Frau Brüllen zur Förderung der Kultur des Tagebuchbloggens und findet an jedem 5. eines Monats statt.
Sonntag. Ich wache mit dem Wecker um 7 Uhr auf, was ein gutes Training für den morgigen ersten Arbeitstag ist, da klingelt er noch eher. Heute muss ich früh Taxi spielen und deshalb aufstehen. Seit gestern habe ich eine Nackenverspannung aus der Hölle, die über Nacht wieder schlimmer geworden ist – Dinge, auf die man verzichten kann.
Aus gegebenem Anlass denke ich über die Bedeutung des Begriffs „überfrierende Nässe“ nach. Würde unterfrierend nicht mehr Sinn ergeben, wenn der Regen wegen kaltem Boden friert? Kurze Recherche: Nein, bei überfrierender Nässe geht es um Wasser, das z.B. in Pfützen auf der Straße steht und dann von oben aus zufriert, also überfriert. Gefrierender Regen ist hingegen das, an das ich dachte. Haben wir wieder was gelernt.
Sowohl am Frankfurter Flughafen als auch am ICE-Bahnhof Siegburg/Bonn gehen die Wetterverhältnisse nicht spurlos vorbei. Ob das Flugzeug pünktlich ist, werden wir sehen, aber ganz sicher wird der Zug es nicht sein: Erst steht da was von einem Notarzteinsatz, dann von Weichenreparatur, außerdem von Schneeproblemen – es liest sich wie das übliche „Suchen Sie sich halt was aus“. (Später werde ich lesen, dass die Sache mit dem Notarzt wirklich stimmt und mein Genörgel vom Morgen wird mir leidtun.) Also taxifahre ich nicht eine halbe Stunde nach Siegburg, sondern anderthalb Stunden nach Frankfurt – und mich selbst natürlich auch wieder zurück. So kann man einen Vormittag auch verbringen.
Übrigens habe ich gestern einen Podcast gehört, in dem es nebenbei auch um den Zustand der Deutschen Bahn ging. Ein spannender Punkt, den ich so noch nicht gesehen hatte: Die Infrastruktur in Deutschland wurde wohl in den Siebzigern so gebaut wie sie heute ist, und darum geht jetzt auch mehr oder weniger gleichzeitig alles kaputt. „Meine Generation“, sagte da ein Interviewter, „hat seit dem Bau (der Infrastruktur, insbesondere der Bahnschienen und Autobahnen) eben davon gelebt, sie verzehrt, und die jetzige Generation muss jetzt mehr investieren, um sie reparieren. Es bleibt zu hoffen, dass die nächste Generation daraus lernt und sich frühzeitig um Instandhaltung kümmert.“ Schlauer Gedanke.
Auf der Fahrt bin ich genervt, denn ich hatte mir den Sonntagvormittag anders vorgestellt. Für derlei Emotionen habe ich aber keine Zeit mehr, als das Auto wegen Schneematsch am Straßenrand plötzlich ins Schlingern gerät und wir einen ganz formidablen Unfall an den Begrenzungssteinen hinlegen. Die Airbags knallen, das Auto rummst und dann stehen wir still. Bis auf einmal alles anfängt zu piepsen: Das Auto wählt selbstständig den Notruf und während wir noch mit dem englischsprachigen Notrufservice telefonieren, melden sich zwei iPhones und zwei Apple Watches, ein Unfall sei erkannt worden und der Notruf werde jetzt angerufen. Wir können nicht auf allen Geräten schnell genug intervenieren und so meldet sich der zweite, deutsche Notruf aus dem Fußraum, denn dorthin war mein Handy entglitten. Dieses fängt dann übrigens an zu reden, wenn man das nicht unterbindet: „Der Besitzer dieses Smartphones hatte einen Unfall. Wir befinden uns…“ und so weiter. Beeindruckende Technik, ich möchte das aber bitte nie wieder erleben.
Es gibt so Momente, in denen weiß man: das könnte jetzt traumatisch sein. Ich hatte nie Angst, im Schnee zu fahren. Aber dieses Erlebnis, selbst nur als Beifahrer? Es könnte sein, dass sich mein Verhältnis zum Fahren im Schnee in diesem Moment geändert hat, und das mag ich ganz und gar nicht.
Ich will dem deutschen Notruf klar machen, dass es uns gut geht, aber als ich immer noch im Schock erwähne, dass der Gurt ziemlich straff sitzt und ich mich eingeengt fühle, erreiche ich natürlich das Gegenteil. „Ich schicke alle.“ Keine fünf Minuten später sind dann auch alle da: Ein Wagen vom Notarzt mit drei Leuten, zwei Feuerwehrautos mit einer unbestimmten Zahl Personen, weil ich am Telefon nicht sagen konnte, ob irgendwo irgendwas ausläuft, und die machen sich sofort an der Batterie des Hybridautos zu schaffen und sichern, was zu sichern ist, die Polizei trifft kurz danach auch ein. Bis dahin hatten einige Autos gehalten und wir wurden gefragt, ob es uns gut geht, einer steigt sogar aus und redet mit uns, wofür ich äußerst dankbar bin.
Die nette Polizistin will sich um ein in der Autoschlange liegen gebliebenes Auto kümmern und leiht sich unser Warndreieck. Beim Herausnehmen aus der Schachtel zerfällt es in mehrere Teile und ist nur gerade so nutzbar. Das kann man dringend gebrauchen, wenn man auf freier Fahrbahn eine Gefahrenstelle absichern möchte. Am Ende schenke ich es der Polizistin, die es vermutlich entsorgen wird. Wegen der Nackenverspannung, die da draußen im Schneeregen auf einer Brücke viel schlimmer wird, kann ich dem Notarzt nicht beantworten, ob ich irgendwelche neuen Schmerzen habe. Ich will einfach nur nach Hause.
Nachdem alles geklärt und aufgeräumt ist, Personalien, Gesundheit, Unfallhergang, Auto wegräumen, warten wir auf dem Gelände des Abschleppdienstes unter einem Vordach und frieren. Neben uns die Koffer, die jetzt eigentlich auf dem Weg in ein Flugzeug sein sollten statt im Gewerbegebiet Neuwied herumzustehen. Ich wiederhole mich, aber so hatte ich mir den Sonntagvormittag wahrlich nicht vorgestellt. Zum Aufwärmen laufen wir auf und ab und ich lenke mich mit der sehr kurzweiligen Podcast-Episode von „Alles gesagt“, diesmal mit Hape Kerkeling ab, von dem ich Fan bin.
Ein Freund holt uns bald ab, im Wagen können wir uns etwas aufwärmen. Immer, wenn der Schneematsch unter das Auto klatscht, zucke ich zusammen. Zurück zu Hause stelle ich mich unter die Dusche und endlich werden auch die Füße wieder warm.
Der Schock ist noch nicht weg. Wie angetrunken fühlt sich das an, als würde ich neben mir stehen. Fürchterlich unangenehm. Immer wieder spüre ich, wie das Auto gegen die Steine rummst und sehe uns danach völlig überfordert zwei Notfallanrufe gleichzeitig durchführen. Wie der englische endete, daran kann ich mich übrigens gar nicht erinnern, ich glaube, wir beschlossen gemeinsam, einfach aufzulegen. Das letzte Mal fühlte ich mich so daneben, als in meine damalige Wohnung eingebrochen worden war und wir den Einbrecher noch wegrennen sahen. Die Polizei kam hier ebenfalls in wenigen Minuten, lauter fremde Leute in der Wohnung, die Spurensicherung war auch schnell vor Ort, musste mir helfen, durch das Schlafzimmerfenster bei uns selbst einzusteigen, dann natürlich noch das kaputte Fenster und, am schlimmsten, der Fußabdruck des Einbrechers auf dem Bettlaken. Ich brauchte lange, um das alles zu verdauen.
Wir trinken um 13 Uhr einen Kaffee und essen etwas Süßes, und ich muss sagen: Ich bin fertig mit dem heutigen Tag, könnte diesen Beitrag eigentlich jetzt schon veröffentlichen. Mehr soll heute bitte nicht passieren, überhaupt gar nichts.
Und so kommt es dann auch, der Rest des Tages besteht aus Zeitverplemperei. Ich lese gerade „Casino Royale“, den ersten Band der James Bond-Reihe von Ian Fleming. Das Buch ist von 1953, und so muss man es auch lesen. Denn genauso wie in den älteren Bond-Filmen sind Frauen nur hübsches Beiwerk und müssen gerettet werden, oder sie stören Bond sogar bei der Arbeit. Interessant auch, dass Personen bis ins Detail beschrieben werden, nicht nur ihr Aussehen, sondern auch die Mode und ihre ganze Erscheinung. Das wird heute ja eher allgemein gehalten, damit das Bild bei mir als Leser entsteht.
Ich bin noch nicht bei der Hälfte des Buchs angelangt, aber bislang ist James weniger der Charmeur aus den Filmen, sondern eher ein arroganter Schönling – was ich einigermaßen witzig finde.
Meine Güte! Was für ein Tag!
Ich hoffe, Du kannst die Erlebnisse gut verarbeiten!
Oh Mann, auf so einen Wmdedgt kann man glaube ich wirklich verzichten.
Kopf hoch, es kann nur besser werden.
Danke! Ja, ich wäre lieber daheim geblieben. Aber: Das Jahr wird definitiv besser!
Oh ha, was für ein Erlebnis. Gut, dass euch nichts Größeres passiert ist. Ich wünsche euch eine schnelle Verarbeitung des Vorfalls.
Danke! Am nächsten Tag sieht alles schon wieder besser aus. Und der Schnee ist auch weg 😉
Was für ein Sonntag! Zum Glück ist euch nichts passiert und hoffentlich ist der Schock früher oder später einigermaßen verdaubar. Viele Grüße, Eva
Hallo Eva, danke, ja das wird mit der Zeit gehen. Das war einfach Pech, und dann auch noch an einem WMDEDGT.
Schön, dass keinem etwas passiert ist! Hoffentlich verläuft das restliche Leben ohne solche Zwischenfälle.
Ich freue mich schon wieder auf den nächsten Post.
Danke dir, das hoffe ich auch.